Mit leerem Bauch zum Nordpol

Der Airbus A350XWB steht vor der ersten Auslieferung an einen kommerziellen Kunden – Besuch in Toulouse

Berlin, 24. April (ssl) Beim neuen A350 hat Airbus aus eigenen Fehlern und aus denen der Konkurrenz gelernt. Bislang sind knapp 850 Maschinen bestellt, noch in diesem Jahr soll die erste Maschine ausgeliefert werden. Ein Besuch beim Testpiloten.

Spielwiese für Ingenieure: So sieht es im Bauch des ersten Prototypen zum Airbus A350 aus.
Spielwiese für Ingenieure: So sieht es im Bauch des ersten Prototypen zum Airbus A350 aus. © Thomas Rietig

Im großen Bauch von MSN 001 leuchtet es orange: Kabel, Verstrebungen, Steckverbindungen, mysteriöse Kästen aller Art. „Alles, was orange ist, ist nur zu Testzwecken hier drin“, sagt Wolfgang Absmeier, Testpilot von Airbus. MSN (Manufacturers Serial Number) 001 ist der allererste Prototyp des neuen Airbus A350XWB, und hier in Toulouse steht er bereit zum nächsten Testflug.

Den Wänden fehlen noch die Verkleidungen. Statt Sitzen stehen große Wassertanks und Generatoren auf dem Boden. Das Wasser – bis zu 60 t – ersetzt das Gewicht der Passagiere und eines Teils der Inneneinrichtung, die Generatoren sorgen für die Wärme, die die Fluggäste normalerweise abgeben.

29 °C zeigt das Digitalthermometer in der MSN 001. Zahlreiche Computerschränke, zwei Kameras, die durch die Fenster auf die Tragflächen gerichtet sind, und ein imposanter Hightecharbeitsplatz ergänzen die Inneneinrichtung. Drei Schwestermaschinen hat dieses Flugzeug. Ein viertes Schwesterflugzeug soll noch 2014 dazukommen. Bevor Testpilot Absmeier am 14. Juni 2013 zum ersten Flug im Pilotensitz Platz nahm, hatte das A350-Konzept in Simulatoren monatelange Tests hinter sich. Nur ein Triebwerk war an einem A380 Probe geflogen.

Inzwischen absolvierten die vier Maschinen mehr als 1400 Teststunden. Sie starteten und landeten im polaren Winter Kanadas und in Katars Hitze ebenso wie auf dem in 4000 m Höhe gelegenen Flughafen von La Paz, Bolivien. Zur Luftfahrtmesse ILA vom 20. bis 25. Mai in Berlin kommt ebenfalls eine von ihnen.

In der vergangenen Woche flogen Absmeiers Kollegen mit MSN 002 mal eben zum Nordpol und zurück. 14 Stunden, 8000 nautische Meilen, nonstop. „Ohne volle Zuladung können die Flugzeuge bis zu 22 Stunden in der Luft bleiben“, sagt er.

MSN 006, das erste Kundenflugzeug, ist in einer der großen Hallen in Toulouse auch schon im Bau. Es soll noch 2014 an den Erst- und Großkunden Qatar Airways ausgeliefert werden. Läuft die Produktion bis 2018 auf vollen Touren, sollen mit zehn Fliegern monatlich die bisher 846 Bestellungen abgearbeitet werden.

XWB heißt Extra Wide Body. Ein paar Zentimeter können eine ganze Menge ausmachen.
XWB heißt Extra Wide Body. Ein paar Zentimeter können eine ganze Menge ausmachen. © Thomas Rietig

So viel Optimismus war nicht immer aus den Hallen der südfranzösischen Produktionsstätte zu hören. Der A350 XWB – die drei Buchstaben stehen für „Extra Wide Body“ – ist ein Großraumflugzeug, das Airbus in drei Varianten mit einer Kapazität von 250 bis 400 Fluggästen und Reichweiten von mehr als 7500 Meilen ausliefern will. Das entspricht der Entfernung Berlin-Santiago de Chile oder Berlin-Bali. Stückpreis plus/
minus 250 Mio. $, je nach Variante, Ausstattung und Bestellmenge. Die kürzeste Variante A350–800 konkurriert mit dem Boeing 787 „Dreamliner“, die größeren A350–900 und –1000 mit dem gut 20 Jahre alten Standard für große Zweistrahler, der Boeing 777. Letztere ist noch voll aus Aluminium. Der A350 besteht zu 53 % aus Kohlefaser, wie auch der Dreamliner.

Eine schwere Geburt

Der Jet war eine schwere Geburt. Am ersten Entwurf kritisierten potenzielle Kunden unter anderem die verhältnismäßig geringe Rumpfbreite, sodass das Programm sich um Jahre verzögerte. Zeitgleich plagte sich Konkurrent Boeing beim Dreamliner 787 aber auch mit Unerwartetem.

Der neue Airbus. © Airbus S.A.S.2010
Der neue Airbus. © Airbus S.A.S.2010

Absmeier sagt nun nach den Testflügen: „Die Überraschung beim A350 war, dass es keine Überraschungen gab.“ Nur beim Neigen der Nase sei er anfangs schwerfällig gewesen.

Heute kann A350-Marketingchef Mike Bausor der Verzögerung Positives abgewinnen. „Wir konnten von den Fehlern von Boeing lernen.“ Die Airbusse werden mit Nickel-Cadmium-Batterien zugelassen, nachdem Boeings mit Lithium-Ionen-Batterien wegen Bränden am Boden bleiben mussten.

Ferner hat das europäische Flugzeug jetzt einen breiteren Rumpf. Das ermöglicht eine 3–3–3-Stuhlreihe aus neun Sitzen mit jeweils 18 Zoll Breite (45,72 cm), knapp zwei Finger breiter als bei der Konkurrenz. Diese 18 Zoll nennen die Airbus-Leute immer wieder als Komfortstandard, der nach ihrer Ansicht auch in der Holzklasse nicht unterboten werden sollte. Wer die Inneneinrichtung 1:1 erleben will, den führt Airbus ins futuristische Mock-up-Zentrum. Da gibt es in einer A350-Rumpfnachbildung die 18-Zoll-Sitze im Economy-üblichen engen Sitzabstand, aber auch die luxuriösen Business- und First-Ausstattungen mit kuscheligen Mini-Abteilen.

Das Mock-up-Zentrum von Airbus. Hier präsentiert der Hersteller Designs der Inneneinrichtung seiner Flieger. In den Rümpfen herrscht Fotografierverbot.
Das Mock-up-Zentrum von Airbus. Hier präsentiert der Hersteller Designs der Inneneinrichtung seiner Flieger. In den Rümpfen herrscht Fotografierverbot. © Thomas Rietig

Quasi in einer Fußnote weist Bausor darauf hin, dass der Fluggast an sich zumindest im Westen größer und dicker wird. Der Manager räumt aber auch ein, dass die etwa sechs Zoll (gut 15 cm) mehr Rumpfbreite auch eine 3–4–3-Reihe in der Holzklasse ermöglichen, womit die Airline ihre Einnahmesituation verbessert, nicht aber ihr Image, vom Komfort für die Fluggäste ganz zu schweigen.

Die größten Effizienzvorteile spielt der Kohlefaser-A350XWB gegen die Alu-777 aus. 25 % weniger Gewicht, 25 % weniger Spritverbrauch – „das bedeutet steilere Abflugwinkel, also weniger Lärm für die Anwohner. Und viel geringere Betriebskosten und höhere Reichweite“, sagt Bausor. Ganz abgesehen von den moderneren Navigationsmöglichkeiten, die den Flug auch effizienter und leiser gestalten.

(Dieser Artikel ist zuerst in den VDI-Nachrichten Nr. 15 vom 11. April 2014 erschienen.)