Weder Lehrer noch Schul-Infrastruktur reif für Herausforderungen des digitalen Wandels – „Monitor digitale Bildung“ erschienen
Berlin, 15. September 2017 (ssl) Eine beliebige U- oder S-Bahn, ein Café oder auch nur ein belebter Bürgersteig in einer deutschen Innenstadt ist im Vergleich zu den meisten Klassenzimmern offenbar ein echtes Digitallabor. Folgt man der Erhebung der Bertelsmann-Stiftung in ihrem neuesten „Monitor Digitale Bildung“, so hinkt das Schulsystem hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien im Unterricht weit hinter der alltäglichen Praxis hinterher. Es fehle sowohl an infrastrukturellen Voraussetzungen als auch an einer Strategie und an der Erkenntnis des didaktisch-methodischen Potenzials digitaler Medien.
Nahezu alle klassischen Vorurteile bestätigt die Studie, die allerdings mögliche Nachteile des Gebrauchs digitaler Medien nicht benennt. Ein bemerkenswerter Satz: „Die große Mehrheit der Lehrer (81 Prozent) und Schulleiter (88 Prozent) sieht die Chancen des digitalen Wandels stattdessen hauptsächlich darin, administrative Aufgaben besser bewältigen zu können.“ Der inzwischen alltäglich sicht- und nutzbare digitale Wandel hat das System Schule offenbar weit hinter sich gelassen.
Bisher glaube nicht einmal jeder vierte Lehrer „daran, dass digitale Medien dabei helfen, den Lernerfolg ihrer Schüler zu verbessern“. Lehrer und Schulleiter sehen sich dem „Monitor“ zufolge nach wie vor eher als das Kaninchen vor der Schlange namens „Digitaler Wandel“ denn als aktive Teilnehmer an einem gesellschaftlichen Umbruch. Das liege unter anderem daran, dass sie selbst in Aus- und Fortbildung nicht ausreichend auf Umgang und Nutzung digitaler Medien vorbereitet worden seien. „Lehrkräfte müssen beurteilen können, wann, wo und wie sich digitale Medien sinnvoll im Unterricht einsetzen lassen.“ Die Stiftung fordert daher „Freiräume und finanzielle Mittel für systematische Unterrichtsentwicklung im Team“, etwa ein höheres Fortbildungsbudget.
Die Lehrer, die der Studie zufolge ihrerseits dem Gebrauch digitaler Medien als Lehrmittel zunehmend aufgeschlossen gegenüberstehen, beklagen , dass ihre Schulen nicht über ausreichende Voraussetzungen verfügen. Das gilt zum einen inhaltlich: „Die meisten Schulen haben weder ein Konzept für den Einsatz digitaler Lernmittel noch reflektieren sie den digitalen Wandel als Bestandteil ihrer systematischen Schul- und Unterrichtsentwicklung“, schrieb die Stiftung. Sie nähmen auch keine Initiativen externer Stellen wie Schulbehörde oder Landesregierung wahr.
Auch bei den technischen Voraussetzungen hapert es: Die Hälfte aller Lehrer ist mit der Ausstattung ihrer Schule unzufrieden, 90 Prozent beklagen fehlenden IT-Support. Als Abhilfe empfiehlt die Stiftung neben der besseren Vorbereitung und einem Coaching der Lehrkräfte die Bereitstellung digitalen Lernmaterials und die Festlegung auf technische Mindeststandards an Schulen. Auch Pflege und Verwaltung der digitalen Infrastruktur dürfe „nicht länger ehrenamtliche Aufgabe einzelner Lehrkräfte sein“, sondern gehöre in die Hand ausgebildeter IT-Fachleute.
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka verwies in einer ersten Reaktion auf den „Digitalpakt Schule“. Da war vor etwa einem Jahr von fünf Milliarden Euro zur Beseitigung der auch schon damals offensichtlichen Defizite die Rede. Was Wanka nicht dazu sagte: Der Haushaltsentwurf für 2018 sieht offenbar kein Geld für das Projekt vor. Mit anderen Worten: Eine Aufgabe zunächst für Fragerunden vor der Wahl zum Thema „Bildung“ und nach der Wahl für die anstehenden Koalitionsverhandlungen.