Wie drei Männer aus Tansania und Deutschland eine NGO gründeten und einen hochdotierten Preis gewannen
Berlin, 04. Mai (ssl) „Wir haben den Kindern einen Fußball gegeben“, sagt Erick Morro. So fing es 2008 an mit der Nichtregierungsorganisation TSE (Talent Search and Empowerment), die in Tansania hilfsbedürftigen Kindern Chancen für ein selbstbestimmtes Leben eröffnet. Am Donnerstag hat sie die Roland Berger Stiftung in Berlin mit dem Preis für Menschenwürde 2017 ausgezeichnet. Einer der drei Gründer ist der Sozialarbeiter Erick Morro. Er lebt in Nürnberg und arbeitet hauptberuflich als Flüchtlingsberater.
Die Organisation, die mit fünf Kindern in Dar es Salaam begann, betreut inzwischen rund 100 Menschen zwischen sieben und 24 Jahren, wie Alfred Tibenderana, ein weiterer Mitgründer von TSE, erzählt. Er unterrichtet an einer Schule in der tansanischen Hauptstadt. Paul Buckendahl, der dritte im Bunde, kam als Praktikant vor mehr als einem Jahrzehnt aus Deutschland nach Afrika. „Die Idee kam aus Ericks Kopf, in Verbindung mit meinen Ideen, Alfreds Ideen und Erfahrung“, beschreibt der den Entstehungsprozess von TSE.
Die drei von TSE: Alfred Tibenderana, Paul Buckendahl, Erick Morro. © Rietig
Flüchtlinge auch in Tansania
Die drei sahen die Kinder täglich mit dem Teufelskreis aus Armut, Gewalt und Drogen konfrontiert. Viele von ihnen gehen, wenn überhaupt, nur in Grundschulen. Privatschulen sind viel zu teuer. Auch in Tansania suchen Flüchtlingskinder vor den politischen Unruhen in Kongo und der Region Ruanda/Burundi Zuflucht. Morro und Tibenderana kannten solche Kinder, Buckendahl hatte Erfahrung mit Fundraising in Deutschland, und so kam das erste Geld zusammen, mit dem drei Räume gemietet wurden – und der Fußball zur Verfügung stand
In den Schulen „wird kaum Kreativität geweckt“, sagt Morro, „und das ist es doch, womit sie Geld verdienen können“. Inzwischen umfasst das Angebot viel mehr als Fußball. Als nächstes kamen Computerkurse. Es folgten Musik und Tanz, Näh- und Schneiderkurse und Theater. Und natürlich wird über die Gefahren des täglichen Lebens aufgeklärt: Drogen, HIV, Kinderprostitution und Gewalt.
Als TSE 2006 die Kooperation mit Kawaida – Sozialer Dienst in Afrika e.V. aufnahm, kam richtig Schwung in die Sache, seitdem kommt jedes Jahr ein Praktikant nach Dar es Salaam. „Der, den wir jetzt haben, lehrt Schlagzeug und Englisch“, sagt Morro, der zwischen seiner Heimat Tansania und seiner Wahlheimat Nürnberg pendelt, wo er mit einer deutschen Frau verheiratet ist.
Anfangs mussten sie sich auch in Afrika mit Vorurteilen auseinandersetzen. Eines lautete: „Ihr benutzt die Kinder ja nur, um an Geld zu kommen.“ Inzwischen ist das ausgeräumt, unter anderem, weil eine Praktikantin Eltern besuchte und ihnen die Erfolgsgeschichten erzählte. Eine davon verbindet sich mit dem Namen Farida. Sie begann bei TSE und tourt jetzt als berühmte Sängerin mit heimischen Musikgruppen durchs Land. Theatergruppen haben schon Vorstellungen in der Partnerstadt Hamburg gegeben. Und Aisha ist inzwischen als Lehrerin in Hamburg.
Gefragt ist nicht nur Geld: „Viele Sachspenden kamen aus Nürnberg“, freut sich der 36-jährige Morro: „Gitarren, Nähmaschinen, Fußbälle.“ Auf dem jährlichen Afrika-Festival wirbt TSE an einem eigenen Stand für den guten Zweck. Erick pflegt außerdem den Internetauftritt der Organisation.
Die 50.000 Euro Preisgeld der Roland Berger-Stiftung sollen der TSE den Sprung in die Unabhängigkeit ermöglichen, wie Buckendahl hofft: „Wir wollen ein eigenes Gelände kaufen, ein eigenes Haus bauen und ein Fußballfeld einrichten.“ Tibenderana ergänzt: „Das gibt uns Sicherheit und nimmt das Risiko, eines Tages auf der Straße zu stehen.“ Morro erzählt, dass sie einen Garten anlegen wollen und einen Laden, in dem sie eigene Produkte verkaufen. Dazu ein Studio, in dem eigene Kurse Musik produzieren können, das aber auch vermietet werden kann. „So können wir selbst Einkünfte mit Auftritten und Vermietungen generieren.“
Und zum Schluss wollen sie alle unbedingt noch ihr Credo loswerden: „Junge, verletzliche Menschen zu unterstützen, ist immens wichtig, weil sie die Zukunft der Gesellschaft darstellen“, sagt Tibenderana. „Wenn ihre Kreativität geweckt wird, gibt es weniger Motivation für Gewalt – und auch weniger Interesse, das Land zu verlassen, um beispielsweise nach Europa zu gehen.“
(Dieser Artikel erschien auch am 05. Mai in der Nürnberger Zeitung.)