Nach dem Nationalen Volkskongress und vor dem Gauck-Besuch
Berlin, 17. März (ssl) Diesmal wird nicht über millionenschwere Investitions- und Joint-Venture-Vorhaben geredet. Diesmal geht es um die zivilgesellschaftlichen Zustände in Deutschland und China. Wenn Bundespräsident Joachim Gauck am Samstag (19. März) zu seiner China-Reise aufbricht, kommt er in ein Land, in dem von der „demokratischen Dividende“ kaum noch etwas zu spüren ist.
Dieser Begriff wurde vor knapp zwei Jahrzehnten eingeführt, um jene zu beruhigen, die starkes wirtschaftliches Engagement deutscher Firmen in China wegen dessen offenkundiger Defizite in Sachen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit kritisierten. Mit zunehmendem Wohlstand, hieß es, kommme quasi automatisch der Wunsch nach und die Gewährung von Reise-, Meinungs- und Religionsfreiheit ebenso wie rechtsstaatlicher Verfahren sowohl vor Gericht als auch bei Genehmigungen oder der Sicherheit von Investitionen. Als Beispiele wurden südamerikanische Staaten oder Südafrika genannt, wo fragwürdige Regierungssysteme Schritt für Schritt von echten Demokratien abgelöst wurden, je mehr sich westliche Konzerne engagierten und innerhalb ihrer Fabrikmauern zumindest ansatzweise Freiheit und Gleichheit zu spüren waren.
Zunächst schien es auch, als wolle die damalige Staats- und Parteiführung Chinas den Weg zur Demokratie beschreiten. Nun aber wird Gauck im offiziellen China nur noch wenig von der Aufbruchstimmung bemerken, die zur Jahrtausendwende herrschte. Staats- und Parteichef Xi Jinping möchte Gauck den „Sozialismus chinesischer Prägung“ zeigen, begründete er 2014 im Schloss Bellevue seine Einladung zum Gegenbesuch.
Dabei wird Gauck erkennen, dass es um den Wohlstand vielfach gut bestellt ist und dass es viele Anzeichen für eine Verringerung der Armut gibt. Reisefreiheit scheint es auch zu geben, jedenfalls für die Reichen und Systemkonformen, wie täglich in den luxuriöseren Berliner Einkaufsmeilen zu besichtigen ist. Der Rechtsstaatsdialog wird zwar aufrechterhalten, um die Korruption weiter einzudämmen, aber um die Menschenrechte ist es nach Ansicht der Experten des Merics-Instituts für chinesische Studien in Berlin schlecht bestellt. Sie sprechen von einer „kontinuierlichen Verhärtung“ des Klimas im Land. Systematisch würden alle potenziell kritischen Gruppen wie Bürgerrechtler, Anwälte, Künstler oder Journalisten erfasst, sagte Kristin Shi-Kupfer, die Leiterin des Forschungsbereichs Politik, Gesellschaft, Medien. Im weltweiten Vergleich der Medienfreiheit liegt China auf einem der letzten Plätze knapp vor Syrien. Christen würden verhaftet und, wenn Pfarrer das christliche Kreuz auf ihren Gotteshäusern verteidigen, zu langen Strafen verurteilt.
Der gerade beendete Nationale Volkskongress hat als minimale Wachstumsraten für die nächsten fünf Jahre 6,5 Prozent angesetzt. Nur so sei die Armut unter den fast anderthalb Milliarden Chinesen zu beseitigen. Das scheint angesichts der derzeitigen Delle in der Aufschwungkurve sehr viel. Auch die Merics-Expertin für Wirtschaft und Finanzen, Sandra Heep, hält das Ziel für zu ambitioniert: Es gehe darum, bis 2020 die Einkommen in Stadt und Land zu verdoppeln. „Auf dem Land ist das ein realistisches Ziel, in der Stadt dürfte sich diese Vorgabe angesichts des wirtschaftlichen Abwärtsdrucks aber kaum umsetzen lassen.“
Die Erfüllung der Forderung wird in den Diskussionen der chinesischen Führung mit dem Bundespräsidenten als Begründung dafür herhalten, dass man sich keine Störfaktoren leisten könne. Vielleicht bekommt er sogar das Zitat aus der Dreigroschenoper zu hören: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Wie gut, dass Gauck lange Lebenserfahrung sowohl als christlicher Funktionär wie auch als Bürgerrechtler hat. Er wird dagegenhalten können, schon weil er merken dürfte, dass der Machterhalt für die Partei eine mindestens ebenso große Rolle spielt.
Inzwischen sind die Chinesen immerhin so weit in die Globalisierung eingebunden, dass sie nicht mehr mit der Erschwernis ausländischer Investitionen drohen können. Das würde ihr Wohlstandsziel in noch weitere Ferne rücken. Gauck könnte ihnen raten, sich weltweit mehr für den Frieden zu engagieren. Die Chance ist da, nachdem China derzeit eine neutrale Beobachterrolle in den meisten aktuellen Konflikten einnimmt. Kommt der Frieden, so kommen auch Exportchancen für die derzeitige Überproduktion in China und damit für das Wohlstandsziel. Und er sollte mit nach Hause nehmen, dass die Erfolgsquote zumindest des Menschenrechtsdialogs nach 17 Jahren auf den Prüfstand gestellt werden sollte.