Noch ein weiter Weg zur Verkehrswende

Mobilitätsatlas von VCD und Böll-Stiftung zeigt den Stand der Dinge

Titelblatt des Mobilitätsatlas. © Foto: Atlas Manufaktur Bartz/Stockmar

Berlin, 05. November 2019 (ssl) „Flächengerechtigkeit“ lautet ein neues buzzword im Zusammenhang mit der aus Gründen des Klimaschutzes und der Fehlentwicklungen in Sachen Mobilität gewünschten Verkehrswende. Was es damit auf sich hat und wo „wir“ auf dem Weg zu einer vernunftgesteuerten Mobilität stehen, fasst der Mobilitätsatlas zusammen, den die Heinrich-Böll-Stiftung und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) am Dienstag (5. November) in Berlin vorstellten.

Wer kennt nicht die Diskussionen, in denen es irgendwann an sachlichen Argumenten fehlt, wenn es um den Umweltaspekt des Verkehrs geht? Der Mobilitätsatlas schafft da Abhilfe, indem er wesentliche Daten und Fakten sowie bereits erprobte (und teils vom Scheitern bedrohte) Modelle umweltfreundlicherer Mobilität in einer Publikation zusammenfasst.

Es gehe darum, die Diskussion „mit Fakten zu füttern“, begründet etwa die Vorständin der Heinrich-Böll-Stiftung, Ellen Überschär, das Projekt, das sich in die bisherigen „Atlanten“-Projekte der den Grünen nahen Organisation einreiht. Reichlich Statistik und Grafik hilft beispielsweise bei der Diskussion um die Umwelt- und Klimabilanz von Elektroautos, die „erst“ ab 150.000 Kilometer Laufleistung ihren Vorteil gegenüber Verbrennern wirklich ausspielen. Ja, und? Das bedeutet immerhin, dass sie spätestens ab 150.001 Kilometer eine bessere Bilanz aufweisen – eine Laufleistung, die bei normal genutzten Fahrzeugen drin sein muss.

Platzbedarf der Verkehrsträger. ©Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Die eingangs erwähnte „Flächengerechtigkeit“ nimmt viel Raum im Atlas ein. Das viel öffentlichen Raum wegnehmende Auto wird gerade in der Stadt vergleichsweise ineffizient genutzt. Es steht meist nur herum, im Stau, auf Parkplätzen oder in Park- und Halteverbot, und schränkt den Freiraum anderer Mobilitätslösungen ein. Selbst wenn es fährt, wird seine Passagierkapazität nur selten voll ausgenutzt. Soweit es nicht elektrisch angetrieben wird, trägt es auch noch zu Luftverschmutzung und CO2-Ausstoß bei. In Berlin beispielsweise werden 13 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad erledigt, der Verkehrsraum für Fahrräder nimmt aber nur drei Prozent der Verkehrsfläche ein. Das halten Böll-Stiftung und VCD für ungerecht.

Es liegt laut Überschär daran, dass die Planungsleitlinien für Verkehr in Deutschland Jahrzehnte alt sind. Bemühungen, das zu ändern, sind bisher nur an wenigen Stellen realisiert worden, weil auch regulatorische Standards nicht auf die Zurückdrängung der automobilen Mobilität im urbanen Raum ausgerichtet sind.

Auch wenn der Sound eines kraftvoll aufheulenden Verbrennungsmotors manchem immer noch wie eine Ouvertüre technischer Genialität klingt, war sich Überschär sicher: „Der Trend entwickelt sich weg vom Auto.“ Es werde heute fast nur noch „mit dem Freiheitsparameter“ beworben, und sie hoffe, dass sich die Freiheits-Sehnsucht auf das Smartphone verlagere, mit dem die jeweils passenden Verkehrsmittel aus Sharing- oder öffentlichen Modellen individuell nutzbar gemacht werden können.

Werlebt wo? © Grafik: destatis.de

Nur kurz streift der Atlas den ländlichen Raum. Dort gestehen die Verfasser zu: “Wer auf dem Land kein Auto hat, muss mit eingeschränktem Aktionsradius leben.“ Danach kommen Hinweise, wie sich die Abhängigkeit davon mindern lässt. Kein Wort verlieren sie darüber, dass die Effizienz eines Pkw auf dem Land – mangelhafte ÖPNV-, Behörden- und Gesundheits-Infrastruktur vorausgesetzt – erheblich höher ist als in Städten oder Speckgürteln und es deshalb vielleicht nicht so dringlich ist, dort auf die Abschaffung des Autos zu dringen und den Bewohnern ein schlechtes Gewissen zu machen, zumal ohnehin nur 23 Prozent der Bevölkerung dort leben.

Auch darf der Leser nicht erwarten, exkulpatorisches über den Kreuzfahrttourismus oder den Flugverkehr zu lesen, auch wenn Kerstin Haarmann, VCD-Vorsitzende, bei einer Frage nach der ökologischen Bewertung von E-Scootern anmerkt, man müsse „nicht alles verbieten, was Spaß macht“. Nun ja, bei anderen Verkehrsmitteln sieht sie das wahrscheinlich anders.

Zu Recht wies der VCD auf die Unzulänglichkeit aller bisherigen „Autogipfel“ oder Klimapakete der Bundesregierung hin. „So wird das nie etwas“ mit der Klimawende, meinte Haarmann. Denn die Subventionen für Dieselfahrzeuge, Dienstwagen oder den Flugverkehr förderten das Umdenken in keiner Weise.

Der Mobilitätsatlas ist, wenn er intelligent genutzt wird, ein wichtiger Baustein zur Aufklärung der Bevölkerung über den derzeitigen Stand der Verkehrswende und der Diskussion darüber. Vielleicht trägt er dazu bei, sie weiter zu versachlichen. VCD und Böll-Stiftung stellen ihn kostenlos im Internet als PDF und gegen Versandkosten auch als 50-seitige Broschüre zur Verfügung.