Wird’s am Boden zu eng? Flügel hochklappen!

Boeing 777X landet vielleicht schon auf der ILA

Boeing 777X im Bau. Im Vordergrund der hochgeklappte Flügelspitze. © Foto: Boeing

Berlin, 28. Februar (ssl) Die Ära der großen Passagierflugzeuge geht weiter. Sie sehen nur anders aus: Nach dem Aus für den europäischen Riesen-Airbus A380 und den amerikanischen Jumbo Boeing 747 in der Passagierversion übernehmen zweistrahlige Großflugzeuge den Massentransport auf den Autobahnen des globalen Luftverkehrsnetzes. Die derzeit modernsten sind die Boeing 787 und der A350. Im kommenden Jahr warten die Amerikaner mit einer Neuheit im Passagierluftverkehr auf: Die 777X hat hochklappbare Flügelenden, damit sie in „normale“ Gates an den Flughäfen passt. Für dieTechnologie dieses Features ist ein deutscher Hersteller zuständig.

Rein theoretisch könnte auf der ILA 2020 (13.-17. Mai) eine 777X mit Klappflügeln landen. Just am Donnerstag gab Boeing bekannt, dass einer der schon bisher größten 777-Betreiber, British Airways, 18 Stück des neuen Jets geordert und sich 24 weitere Optionen gesichert habe – ein Auftrag im Wert von 18,6 Milliarden Dollar. Der 777-Auftragsbestand beträgt, Stand 28. Februar, 424 Flugzeuge. Die Lufthansa ist einer der Lauching Customer des Flugzeugs und hat 34 bestellt.

Boeing Deutschland-Direktor Michael Haidinger wollte sich vor einigen Tagen in Berlin zwar nicht darauf festlegen. Bei einer Veranstaltung des Luftfahrt-Presseclubs (LPC) widersprach er der Idee und der Perspektive aber auch nicht. Der Konzern hat 2020 als Termin für die Fertigstellung dieses Großflugzeugs genannt, und Haidinger gab sich überzeugt, dass das eingehalten wird. „Aber 2020 umfasst zwölf Monate“, sagte er.

Abgesehen vom Fertigstellungszeitpunkt dürften auch industriepolitische Gründe die Landung der 777X zur Messe in Berlin zumindest nicht erleichtern. Das Flugzeug markiert in den Augen der amerikanischen Luftfahrt-Hemisphäre einen Punkt, an dem Boeing technologisch die Nase vorn hat und Airbus in den Schatten stellt. Airbus ist aber das gewichtigste Mitglied im Bundesverband der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), der letztlich bestimmt, wer auf der ILA in welchem Umfang ausstellt. Und der Konkurrenzkampf zwischen Airbus und Boeing wird in der Branche durchweg als hart beschrieben. Der europäische Konzern hat zwar ein vergleichbares Patent angemeldet, bei dem die Flügel nach unten weggeklappt werden, aber es ist offen, ob, und wenn ja, wo und wann es in Serie gehen soll. Andererseits ist die Anwendung der Technologie ein großer Erfolg für die deutsche Luftfahrtindustrie, denn sie wird von Liebherr umgesetzt, einem der größten Player unter den deutschen Zulieferern, dessen Wort im BDLI auch einiges gelten dürfte.

Flügelspitzenvergleich. © Grafik: Boeing

Die Überlänge der Flügel begründet Boeing mit der dadurch möglichen Treibstoffersparnis im Reiseflug. Die 777X soll damit zum sparsamten Flieger ihrer Klasse werden. Vorerst sind zwei Versionen für jeweils 360 und 388 Millionen Dollar Listenpreis geplant: die -8 mit 70 Meter Länge für 350 bis 375 Passagiere, und die -9 mit 77 m Länge für 400 bis 425 Passagiere. Damit liegt sie quasi an der unteren Grenze der A380-Kapazität, die von 400 bis 875 Passagieren reicht. Der größte Jumbo, die 747-8, wie sie unter anderem von der Lufthansa geflogen wird, bietet 368 Passagieren Platz. Es könnten mehr sein, wenn weniger First- und Business-, aber mehr Economy-Plätze angeboten würden.

Die „Folding Wingtips“ verkürzen am Boden die Spannweite um rund sieben Meter von 72 auf 65 Meter. Eine der großen Herausforderungen bei Entwurf und Bau war, die zugehörige Elektronik und Mechanik so zu konstruieren, dass ein Hochklappen während des Fluges de facto unmöglich wird. Unter anderem wird nach dem Ausklappen die Stromversorgung der Mechanik unterbrochen.

Schon als die Ur-777 konstruiert wurde, sahen die Entwickler klappbare Flügel vor, um für den großen Vogel nicht erneut die Flughäfen umbauen zu müssen, aber niemand wollte sie haben. Der Erstflug fand vor fast genau 25 Jahren, im Juni 1994, statt.

Es blieb aber zunächst bei der Spannweite von 64,8 m, mit der die 777 an Gates der Kategorie E für Maschinen mit einer Spannweite bis 65 m passt. Diese Kategorie war um 1970 für die ersten Jumbos mit einer Spannweite von 64,40 Meter notwendig geworden. Airports wie der Frankfurter Flughafen reagierten in dieser Zeit mit dem Bau komplett neuer Infrastruktur wie dem Terminal Mitte auf den einsetzenden Massenansturm auf den Luftverkehr.

Für die A380 mussten sich die Flughäfen erneut auf neue Dimensionen einstellen. Dazu gehörten zweistöckige Gates, damit die Passagiere schneller rein und raus kamen und Aufenthalte zwischen Ladung und Start sich nicht übermäßig in die Länge zogen und damit teuer wurden. Und es kam die Gate-Größenkategorie F für Maschinen bis 80 m Spannweite. Die der A380 misst 79,75 m, die Türschwelle des Oberdecks liegt rund 8 m über Grund.

Bewegliche Flügel in der Horizontalen oder der Vertikalen sind zwar in der zivilen Luftfahrt neu, aber historisch erprobt. Im Grunde genommen experimentierte bereits Otto Lilienthal damit. Bei den Luftwaffen stehen weltweit viele Jets mit Schwenkflügeln im Dienst, etwa der Tornado. Je enger die Flügel anliegen, umso leichter lassen sich hohe Geschwindigkeiten erzielen. Mit „ausgebreiteten Schwingen“ dagegen lässt sich sicherer landen, und die Piste kann kürzer gehalten werden.

Amerikanische Kampfbomber haben nach oben klappbare Flügel, damit sie auf Flugzeugträgern nicht so viel Platz wegnehmen. Ein berühmt-berüchtigter Typ ist die Douglas AD Skyraider, die nach dem Zweiten Weltkrieg in großen Stückzahlen gebaut und in Korea und Vietnam eingesetzt wurde.

Bis an die Spitzen bewaffnet: ein Skyraider, hier fotografiert beim EAA AirVenture in Oshkosh 2018. © Foto: Rietig