Meine Lektüre im ersten Quartal 2023 – Von Joseph Conrad über Frisch/Bachmann zu Manesse
Berlin, 31. März 2023 (ssl) Es sind tatsächlich hundert Bücher in den plusminus drei Jahren der Pandemie geworden, die ich gelesen und kurz oder lang besprochen habe. Genauer: Hunderteins. Wenn sich auch die zu Beginn dieser Aufzeichnungen erwähnte Lektüregrund „Kulturmangel während des Lockdowns“ schon lange erledigt hat, ist daraus doch eine neue nachhaltige Freizeitbeschäftigung entstanden. Sie besteht aus mehr als nur „Lesen“. Zunehmend wurde mir bewusst, dass ich nicht mehr einfach nur zum Zeitvertreib lesen und mich bestenfalls in die Welt der Handelnden oder des beschriebenen Sachgebiets hineindenken wollte. Vielmehr habe ich mir mit der selbst gegebenen Archivierungsstruktur ein bisschen Disziplin verordnet, nämlich: das Was, Wie und Warum jedes Buches zu erkennen und im Kopf mitteilungsfähig aufzuarbeiten. Am Ende hat man so tatsächlich mehr von der Lektüre. Deshalb lese ich nicht nur weiter, sondern schreibe die gewonnenen Erkenntnisse auch weiter in diesem Blog auf.
Liebe Verlage, die das lesen: Wenn Sie hier auch erscheinen wollen – nur zu. Senden Sie mir Ihr Programm: thomas.rietig@rsv-presse.de Ich bestelle garantiert nur Rezensionsexemplare, von denen ich mir Lesegenuss verspreche. Jedes Buch bekommt eine eigene Besprechung von ca. 3.000 bis 5.000 Zeichen plus Buchdeckelbild und eine Kurzrezension in der vierteljährlichen Buchliste. Zur Systematik (oder besser gesagt: Anarchie) der Buchauswahl finden Sie etwas am Ende des Posts.
(92) Hanse, Thore D.: Taupunkt. Ein Kriminalroman.
Heute lieferbar: München: Europa Verlag 2022 (© auch für das Deckelbild). Paperback. 272 Seiten, 20 €. ISBN: 978-3-95890-470-5 https://www.thore-hansen.de/
Über den Autor: Hansen (*1969 Sankt Peter-Ording) ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Er schreibt futuristische Politthriller, wurde bekannt als Autor der kommentierten Biographie der Sekretärin von Joseph Goebbels „Ein deutsches Leben“ (2017). „Seine Bücher extrapolieren die Folgen gegenwärtiger Trends für die nächste Zukunft.“ (Klappentext)
Inhaltsangabe: Eine Kriminalgeschichte aus Familiendrama und in einem apokalyptischen Klimawandel-Szenario, die aber (Spoiler!) noch einigermaßen gut ausgeht. Sie spielt in Brandenburg und Berlin.
Ausführliche Besprechung: https://schienestrasseluft.de/2023/01/18/klimawandel-und-familie/
Anlass der Lektüre: Vom Verlag angebotenes Besprechungsexemplar.
Bewertung: Spannend und aktuell, kann man lesen.
(93) Wissenschaftliche Buchgesellschaft wbg (Hrsg.): In 80 Büchern um die Welt. Abenteuerliche Reisen von Marco Polo, Anna Seghers, Paolo Coelho, Wolfgang Herrndorf u.v.a.
Heute lieferbar: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft 2022. Hardcover, 260 Seiten, sehr viele Abbildungen und Pläne. ISBN 978-3-8062-4429-8, 29,90 €
Inhaltsangabe: Jeweils kurze Zusammenfassungen von 80 Werken der Weltliteratur, in denen es um Reisen geht, ergänzt um biographische Eckdaten der Autoren und passende Abbildungen. Es ist ein literarischer Streifzug durch Jahrhunderte der Weltliteratur, soweit es die jüngsten Jahrzehnte angeht, auch durch alle Kontinente. Unter den „besprochenen“ Autorinnen und Autoren finden sich einige Literaturnobelpreisträger, die schon fast wieder in Vergessenheit geraten sind.
Anlass der Lektüre: Weihnachtsgeschenk.
Bewertung: Sehr schönes Buch, nicht nur, aber auch wegen der Abbildungen – vor allen Texten stößt der Blätterer auf einen doppelseitigen Reprint von Edward Hoppers „Chair Car“. Bestens geeignet sowohl zum Schmökern als auch als Anregung zum Weiterlesen. Ausführliche Register der Stichwörter als auch der Autoren, die die Besprechungen verfasst haben. Während der Lektüre habe ich mir manchmal vorgestellt, dass die Verantwortlichen darüber gestritten haben könnten, welche Bücher sie nun aufnehmen und welche nicht. Natürlich lässt sich nahezu jedes fiktionale Buch als Reiseliteratur auslegen, weil der Standpunkt möglich ist, dass ein Niederschreiben und Veröffentlichen nur sinnvoll ist, wenn eine Entwicklung von A nach B stattfindet, also entweder eine Zeitreise oder eine physische Reise von A nach B. Aber bei diesem Standpunkt wird eine Selektion obsolet. Bei allem Respekt und aller Bewunderung für James Joyce finde ich es doch ein wenig übertrieben, den Titel „… um die Welt“ so zu interpretieren, dass auch ein Gang durch Dublin zur Reiseliteratur zählt, auch wenn der Buchtitel eine Irrfahrt nahelegt. Andere Reisebücher, die gerade hier in meiner Rubrik besprochen wurden, fehlen dagegen, etwa Stefan Zweigs „Magellan“. https://schienestrasseluft.de/2022/02/16/pandemie-2022-1-naturerfahrungen-durch-die-jahrhunderte/
(94) Menasse, Robert: Die Erweiterung. Roman.
Lieferbar: Berlin: Suhrkamp Verlag 2022 (© für das Deckelbild), 1. Auflage. Gebunden mit Lesezeichen, 656 Seiten, Zwei Karten im vorderen und hinteren Vorsatz.
Über den Autor: Menasse (*1954 Wien), promovierter Germanist, landete 2017 den Bestseller „Die Hauptstadt“, in dem er den Brüsseler Politikbetrieb satirisch beschreibt. Politisch vertritt er eine ausgeprägt universalistische pro-europäische Haltung, die vielfach als weltfremd kritisiert wird. Er geriet darüber hinaus in die Kritik, weil er fiktive Elemente in seinen Werken als Fakten hinstellte, und zwar nicht nur in seinen Romanen, sondern auch in politischen Schriften. https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Menasse
Inhaltsangabe: „Die Erweiterung“ setzt „Die Hauptstadt“ inhaltlich und im satirischen Stil fort, indem es die (noch) fiktive Vorstufe der Aufnahme Albaniens in die EU beschreibt und dabei die Verhältnisse auf dem Balkan und in Brüssel karikiert.
Anlass der Lektüre: Weihnachtsgeschenk.
Bewertung: Anregend und mit reichlich Witz geschrieben ist das Buch allemal. Mir ist ein gewisses Ungleichgewicht zwischen der Inhaltsangabe hinsichtlich der gegen Ende des Buches beschriebenen Kreuzfahrt aufgefallen. Sie nimmt in etwa die Hälfte der Inhaltsangabe im Klappentext ein, aber nur einen von sechs Teilen des Buches, etwa hundert Seiten.
(95) Bachmann, Ingeborg; Frisch, Max: „Wir haben es nicht gut gemacht.“ Der Briefwechsel.
Heute lieferbar: München, Berlin, Zürich: Piper Verlag und Suhrkamp Verlag 2022, © für das Deckelbild. 2. Auflage
Über die Autoren: Bachmann (1926 Klagenfurt – 1973 Rom) war eine der bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie studierte unter anderem Philosophie und Germanistik und promovierte über Martin Heidegger. Zu ihren bekanntesten Werken gehört „Der gute Gott von Manhattan“ und viele Gedichte. Obwohl mehrfach preisgekrönt, u.a. mit dem Büchnerpreis, dem Deutschen Hörspielpreis und dem Preis der Gruppe 47 ausgezeichnet, litt sie unter schweren Selbstzweifeln und starb nach einem Brandunfall in der eigenen Wohnung, ausgelöst von Tabletten-, Zigaretten- und Alkoholabhängigkeit. Frisch (1911-1991 Zürich) begann ein Germanistikstudium, brach es aber ab, um Architektur zu studieren. Er arbeitete einige Jahre als Architekt, bis er mit Romanen wie „Stiller“ und Theaterstücken wie „Biedermann und die Brandstifter“ weltbekannt wurde, die in der deutschsprachigen Kultur im Schulkanon einen festen Platz haben. Beide lebten von 1959-1963 zusammen.
Inhaltsangabe: Das Zusammenleben und die tragische Entwicklung vor allem Bachmanns währenddessen und danach war jahrzehntelang Stoff für – oft auf Gerüchten basierende – Urteile und Vorurteile in der deutschsprachigen Literaturszene. Der lange durch testamentarische Verfügungen gesperrte Briefwechsel stellt einiges davon richtig, vor allem die gerne gebrauchte direkte oder indirekte Schuldzuweisung der Kollegen und Kritiker an Frisch. Die Briefe machen klar, dass auch zum Scheitern einer Beziehung zwei gehören. Es ist eine Liebesbeziehung, die sich offen gibt, aber an beiderseitigen Affären und Eifersucht in mehrererlei Hinsicht eskaliert, bis sie bricht.
Anlass der Lektüre: Buch gekauft aus Interesse an den Entwicklungen der deutschen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Bewertung: Äußerst aufschlussreiche und lohnenswerte Lektüre, wenn man sich a) für die Literaturszene der alten Bundesrepublik und b) für den Verlauf gescheiterter Beziehungen von Intellektuellen interessiert. Der kurze Satz „Wer am meisten liebt, muss leiden.“ (Thomas Mann) fand in der Beziehung dieser beiden seine tiefe Bestätigung; es war in diesem Fall Bachmann. Bei ihr kam aber eine schwierige Persönlichkeit hinzu, sie verfällt in eine Opferrolle, mit der Frisch nicht so viel anfangen kann, wie sie es gerne hätte. Gleichwohl bleibt nach wie vor einiges im Dunkeln, da sie immer dann, wenn sie im Wortsinn „zusammen“ waren, sich naturgemäß keine Briefe schrieben. Die Briefe, die sie aber schrieben, haben oft literarische Qualität, den meisten merkt man an, dass sie nicht schnell aufs Papier gebracht wurden, sondern wohlüberlegt formuliert. Die Briefe offenbaren auch ein teils sehr un-intellektuelles Vorgehen der Mitglieder der Gruppe 47, das oft nichts mit der nach außen durch zahlreiche kulturelle und politische Initiativen vorgetragenen präzeptorialen Haltung gemein hatte, sondern eher nach spießigem Dorfklatsch riecht. Die Briefe und Telegramme sind wissenschaftlich aufgearbeitet und kommentiert. Dank dieses ausführlichen Apparats bietet das Buch auch denen einen Mehrwert, die nicht sehr vertraut mit dem Literaturzirkus Westdeutschlands waren oder sind.
(96) Wolf, Alexander: Zur Hölle mit den Paukern
Gelesen als: [©Frankfurt: Bärmeier und Nikel 1963] Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (©für das Deckelbild), 219.-248. Tausend 1970. Taschenbuch mit Illustrationen von Kurt Halbritter, 125 Seiten.
Heute lieferbar: Antiquarisch. ISBN 978-3-499-10874. Ab 2,– €
Über den Autor: Alexander Wolf, eigentl. Karl Herbert Rösler (1926 Senftenberg – 2018 vermutlich Kassel), war Gymnasiallehrer. Er promovierte 1958 zum Dr. phil. „Zur Hölle mit den Paukern“ ist sein bekanntestes Buch. Es wurde als erster Teil einer Serie „Die Lümmel von der letzten Bank“ mit großem Erfolg 1967 verfilmt. (Q: Klappentext)
Inhaltsangabe: Schülerstreiche im Humor der 60-er Jahre.
Anlass der Lektüre: Im Regal gefunden. Nach Lektüre entsorgt.
Bewertung: Ob der Erfolg sich heute noch einstellen würde, ist fraglich. Liest sich auch im hohen Alter gut und amüsiert, weil man es auf seine eigene, inzwischen allerdings verklärte Schulzeit projiziert. Erkenntnisfortschritte ergeben sich dabei allerdings nicht.
(97) Gallico, Paul: Immer diese Gespenster
Gelesen als: [© „Too Many Ghosts“, Paul Gallico 1959, dt. Hamburg: Marion von Schröder Verlag 1960] Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 46.-60. Tausend 1960. Taschenbuch, 204 Seiten
Heute lieferbar: Antiquarisch. ISBN 978-3499108976, Ab 1,– €
Über den Autor: Paul Gallico (1897 New York – 1976 Antibes) begann nach einem Studium als Sportjournalist. Sein Wissen eignete er sich an, indem er zahlreiche Sportarten selbst ausübte, darunter Boxen. Er kämpfte gegen Jack Dempsey und schwamm gegen Johnny Weissmüller. Nach einigen erfolgreichen Kurzgeschichten wandte er sich der Schriftstellerei zu, wo er ebenfalls sehr erfolgreich war. Ihm ist die Figur der Fernsehserie Hiram Holliday zu verdanken. Eines seiner Bücher, „Meine Freundin Jenny“, findet sich unter #16 unserer Liste: https://schienestrasseluft.de/2021/04/15/pandemie-2021-1-london-new-york-mehlmeisel-und-suedgeorgien/#more-2275
Inhaltsangabe: In einem englischen Schloss, das die Besitzer aus wirtschaftlichen Gründen teilweise zum exklusiven Club umfunktioniert haben, scheint es zu spuken. Ein junger Spezialist für parapsychologische Phänomene wird zwecks Aufklärung zu Hilfe gerufen und ist am Ende erfolgreich, indem er die Spukenden entlarvt.
Anlass der Lektüre: Stand im Regal; ich habe es wahrscheinlich vor ca. 45 Jahren schon einmal gelesen. Nach neuerlicher Lektüre entsorgt.
Bewertung: Amüsant geschrieben, gut zu lesen, es hat alles, was ein Roman, geschrieben von einem Amerikaner, über die englische Dekadenz haben muss, einschließlich eines Schusses Satire.
(98) Regling, Horst, Grusenik, Dieter, Morlok, Erich: Die Berlin-Stettiner Eisenbahn
Gelesen als: Stuttgart:Transpress Verlag 1996. Gebunden, zahlreiche Fotos, Gleispläne, 132 Seiten.
Heute lieferbar: ISBN 3-344-71046-x. Antiquarisch z. B. Für 16.–€.
Über die Autoren: Regling ist Experte für Eisenbahn in der DDR, Grusenick und Morlok auch mit Spezialgebiet Nordostdeutschland.
Inhaltsangabe: Die Geschichte einer frühen deutschen Eisenbahn mit allem Drum und Dran, dargestellt von den Anfängen bis in die Nachwendezeit. Obwohl eine der ältesten Bahnverbindungen in Deutschland und dem heutigen Polen, die der Entlastung des europäischen Nord-Süd-Güterverkehrs dienen könnte, ist sie nach wie vor nicht vollständig elektrifiziert.
Anlass der Lektüre: Das Buch war Teil eines modellbahnerischen Nachlasses, der mir und zwei Freunden „vermacht“ wurde.
Bewertung: Historisch interessant, unter anderem weil die Autoren mehrfach erwähnen, dass in der Frühzeit der Eisenbahn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus nicht alle Gemeinden entlang der geplanten Strecke bereit waren, Gelände für Bahnhöfe bereit zu stellen. Modellbahner können sich über die Gleis- und Bahnhofspläne freuen, die wegen der relativ dünnen Besiedelung entlang der Strecke meist nicht übermäßig ausgedehnt sind und daher gut als Vorbild dienen können.
(99) Sieburg, Friedrich: Französische Geschichte
Gelesen als: [© Frankfurter Societäts-Druckerei 1964] Frankfurt: Societäts-Verlag 1977. Mit einem Schlusskapitel „Von der Vierten zur Fünften Republik“ von Nikolas Benckiser. 39 Abbildungen, 3 Karten. Gebunden, 208 Seiten. Schutzumschlag mit einer Reproduktion des Monet-Bilds „Der erste 14. Juli in der Rue Montorgueil zu Paris“
Heute lieferbar: Antiquarisch. ISBN 3-7973-0135-9.
Über den Autor: Sieburg (1893-1964) studierte Philosophie, Geschichte, Nationalökonomie und Literaturwissenschaft in Heidelberg und Münster, wo er auch 1919 promovierte. Er begann seine Journalisten- und Schriftsteller bei der „Frankfurter Zeitung“ 1923 als Auslandskorrespondent in Kopenhagen und ab 1926 in Paris. Dort entstand sein bekanntestes Buch „Gott in Frankreich“ (ISBN-13: 978-3548236551, Wiederauflage von 1995 ), eine allerdings kritische Liebeserklärung an das Nachbarland. Er sympathisierte zunächst mit der 1918-er Revolution, wandte sich dann aber über die als bürgerlich-liberal geltende „Frankfurter Zeitung“ dem Konservatismus zu und landete schließlich ziemlich weit rechts mit einer unkritische Haltung zum Nationalsozialismus. 1940 war er als Sonderbeauftragter für die deutsche Botschaft in Brüssel tätig. Nach dem Krieg distanzierte sich Sieburg mehrfach vom Nationalsozialismus und arbeitete ab 1956 für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Mit der Gruppe 47, die für die Literatur Nachkriegs(west)deutschlands stilbildend wurde, verband ihn eine herzliche Feindschaft. Er selbst sah sich in einer konservativen Tradition unter Einschluss Thomas Manns.
Inhaltsangabe: Geschichte Frankreichs von den karolingischen Anfängen bis de Gaulle. Ein Schlusskapitel des FAZ-Herausgebers Nikolas Benckiser aktualisiert den Text bis Mitte der 70-er Jahre.
Anlass der Lektüre: Stand angefangen, seit Jahrzehnten nicht fertig gelesen im Bücherregal.
Bewertung: Mit historischer Distanz lesbar, jedenfalls für Frankreich-affine. Bei aller Kritik an Sieburgs Lebenslauf ist ihm ein hervorragend lesbarer Stil mit leichter Ironie zuzugestehen, der die Lektüre zu einer Wohltat macht. Nur selten verfällt er in fragwürdige Pauschalierungen, etwa Völkern wie „den Franzosen“ besondere, sie von anderen Völkern unterscheidende Charaktereigenschaften zuzuschreiben.
(100.1) Schreier, Helmut: Unter Bäumen und (100.2) Lieckfeld, Claus-Peter: Heide.
Lieferbar: European Essays on Nature and Landscape. Hamburg: KJM Buchverlag 2023 14,3×21 cm, zahlreiche Abbildungen und Karten, je 20€. 100.1: 143 S., ISBN 978-3-96194-204-6. – 100.2: 135 S., ISBN 978-3-96194-203-9
Über die Autoren: Beide renommierte Schriftsteller.
Inhaltsangabe: Die beiden ersten Bände einer neuen „Nature Writing“-Reihe in der zurzeit relativ zurückhaltend gebrauchten literarischen Form des Essays konzentrieren sich auf Lebensräume, die dem relativ eingeschränkten populären Naturverständnis im Gegensatz zu ausgesprochenen Kultur- oder Stadtlandschaften entsprechen. Sie breiten Geschichte und Gegenwart dieser Landschaften aus jeweils individueller Sicht aus.
Anlass der Lektüre: Angebot der Rezension seitens des Verlags.
Bewertung: Beide Bände bieten viele Illustrationen und Quellen sowie einen hohen Nutzwert durch Verweise auf vergleichbare Landschaften mit QR-Codes zu ihren Adressen. Mehr in der ausführlichen Besprechung: https://schienestrasseluft.de/2023/04/05/im-wald-und-auf-der-heide/#more-2592
(101) Conrad, Joseph: Die Rettung. Roman aus den Untiefen
Gelesen als: Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag (©1965) 1982, 11.-15. Tausend. 395 Seiten. ISBN 3-596-22058-0. Englisches Original: The Rescue – A Romance Of The Shallows (1920) . Kostenlos als E-book: https://www.gutenberg.org/files/1712/1712-h/1712-h.htm
Heute lieferbar: Als e-book hier: https://www.fischerverlage.de/buch/joseph-conrad-die-rettung-9783104908564 . 9,99 €
Über den Autor: Joseph Conrad (* 3. Dezember 1857 in Berdytschiw, Russisches Kaiserreich, heute Ukraine; † 3. August 1924 in Bishopsbourne, Großbritannien), war ein polnisch–britischer Schriftsteller. Seine Familie wanderte aus Osteuropa nach Großbritannien aus. Conrad wurde Seemann und begann erst mit 20 Jahren in englischer Sprache zu schreiben. (https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Conrad) Er gilt als einer der größten Erzähler der Jahrhundertwende. Sein letztlich durch die filmische Adaption auf den Vietnamkrieg in “Apokalypse Now” berühmtestes Werk ist die Erzählung “Herz der Finsternis” (1902). Conrad hat die Abenteuerliteratur zu einer Kultur erhoben, die ihn zu einem der ersten Literaten machten, die von der regionalen zu einer globalen “Berichterstattung” übergingen (anders als etwa seine Zeitgenossen Joyce oder Proust). Er gilt als einer der frühesten Erzähler, die den britischen Kolonialismus, schon vor dem ersten Weltkrieg kritisch thematisierten. Er wurde wegen seiner Darstellung Afrikas gleichwohl kritisiert.
Inhaltsangabe: Das Buch ist der dritte Teil (neben “Almayers Wahn” und “Der Verdammte der Inseln”) der “Lingard”-Trilogie, die teils aus Conrads eigener Anschauung resultiert. Er beschreibt darin das tragische Aufeinandertreffen reicher britischer Reisender, die mit ihrer Jacht im heutigen Malaysia gestrandet sind, mit den Einwohnern malaiischer Inseln, die wiederum untereinander verfeindet sind. Zwischen beiden steht der Abenteurer Tom Lingard, der mit seinem eigenen Segler und einigen Gefolgsleuten Frieden zwischen den Parteien schaffen will. Dabei entspannt sich eine Liebesgeschichte zwischen Lingard und der Frau des Jachteigentümers. In einer 1920 verfassten Eingangsbemerkung berichtet Conrad, dass er das Buch bereits Ende der 1890-er Jahre begonnen, es aber erst 1918 abgeschlossen habe, weil ihm zwischenzeitlich “der Sinn für die angemessene Formel des Ausdrucks” verloren gegangen war.
Anlass der Lektüre: Stand ungelesen im Bücherregal, nachdem ich vor Jahrzehnten einen “Joseph-Conrad-Moment” hatte, der aber nicht so lange anhielt, dass ich dazu gekommen wäre, alle damals gekauften Bücher zu lesen.
Bewertung: Eben kein einfaches Abenteuerbuch und durchaus kritisch gegenüber der “Herrenmenschen vs. Wilde”-Einstellung, die in vielen anderen zeitgenössischen Werken immer wieder durchkommt. Abgesehen von den üblichen Gründen, eine Abenteuer- und Liebes-Geschichte zu lesen, lohnt es sich besonders wegen der Stimmungsbeschreibungen der Handelnden. Sehr viel spielt “an der Reling”, und es ist manchmal notwendig im Seemannslexikon nachzuschlagen (natürlich nur, wenn man wirklich wissen will, was zum Beispiel die Poop ist).
Zur Auswahl der Bücher
Wie immer, ist die Auswahl der Bücher mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Dass ich hier Beschreibungen meiner Lektüre veröffentliche, hat folgenden Hintergrund: Oft sind mir Inhalte der Lektüre nach einiger Zeit nicht mehr präsent. Da habe ich mir gedacht, ich schreibe sie nach der Lektüre kurz auf. Und wenn ich das schon tue, dachte ich mir weiter, kann ich das Geschriebene auch gleich in das Blog stellen, um vielleicht andere Menschen zu Lektüre anzuregen.
Natürlich lese ich keine Bücher zu Themen, die mich überhaupt nicht interessieren, oder Romane, die mir schon vom Klappentext her nichts zu bringen scheinen. Meine Auswahl wird bestimmt durch das Bedürfnis, das Wissen in einem bestimmten Gebiet zu vertiefen. Oder (Vor-) Urteile innerhalb der Gesellschaft zu verifizieren oder zu falsifizieren. Oder die Bücher werden mir als Besprechungsexemplare angeboten. Oder Neugier. Oder eine Empfehlung oder einfach ein „Festlesen“ in einem Buch, das einem beim Nachschlagen in einem anderen auffällt. Oder ich greife mir aus meinen überfüllten Regalen eins, das ich schon immer mal lesen wollte.
Die übrigen Bücher, die seit Pandemiebeginn bereits über meinen Nachttisch gegangen sind, finden Leserinnen und Leser hier, hier, hier, hier, hier und hier.
Für Anregungen und konstruktive Kritik bin ich jederzeit dankbar. Falls jemand sich in irgendwelchen Rechten verletzt fühlen sollte, bitte ich vor der Einleitung rechtlicher Schritte um ein klärendes Gespräch. Probleme lassen sich bestimmt gütlich und ohne Aufwand lösen.