Bundeswehr entwickelt wieder Konzept für Lazarettzüge

Verteidigungsministerium: Für Zeiten unsicheren Luftraums, etwa Krieg im Baltikum

Berlin, 5. Juli (ssl) Die Bundeswehr entwickelt ein Konzept für den schienengebundenen Transport von Patienten in größerer Zahl. „Die Fähigkeit, eine große Anzahl Patienten medizinisch betreut zu verlegen, kann sowohl bei Landes- und Bündnisverteidigung, als auch bei infektiologischen sowie traumatologischen Großschadensereignissen notwendig werden“, erklärt das Verteidigungsministerium in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag, die am Montag (4. Juli) vom Parlamentspressedienst veröffentlicht wurde. Details stehen offenbar noch nicht fest, gleichwohl geht die Bundeswehr von Voraussetzungen für den Einsatz aus, die ungewöhnlich detailliert angegeben werden.

Anlass für die Anfrage der Unionsfraktion war eine Meldung von „Bild“ und „Welt“, wonach die Streitkräfte planten, drei Hochgeschwindigkeitszüge des modernsten Siemens-Typs „ICE3 neo“ zu beschaffen und so auszurüsten, dass sie im Ernstfall als Lazarettzüge dienen können. Das wiederum dementiert die Bundesregierung in ihrer Antwort: Weder zu Zahl noch Hersteller noch Typ gebe es irgendwelche Festlegungen. Auch ein Geschäftsmodell sei noch nicht gefunden, sodass zu einem eventuellen Vergabeverfahren oder zu der Frage, wer die Züge am Ende betreiben soll, gebe es bereits Entscheidungen. Auch „zu den Zeitlinien bestehen hier keine Erkenntnisse“, erklärte das Ministerium auf die Frage, ob die in den Meldungen für die Erstauslieferung genannte Jahreszahl 2025 realistisch sei.

ICE 3neo Baureihe 408 (Velaro) des Herstellers Siemens Mobility auf Versuchsfahrt / Sonderfahrt durch das EVU RailAdventure GmbH auf dem Netz der DB. Die ICE 3 Baureihe 408 wird im Laufe des Jahres 2022 Bestandteil der ICE-Flotte des DB Fernverkehr. Ob solche Züge einmal zu Lazarettzügen werden, und wenn ja, wie viele, ist noch nicht ausgemacht. © Deutsche Bahn

Trotz vieler „Noch nicht“-Antworten gibt die Drucksache einigen Aufschluss über die künftige Positionierung der Bundeswehr bei Landes- oder Bundesverteidigung. Demnach hat sie seit 2007 kein Konzept für einen schienengebundenen Patiententransport, sprich: über die Bereitstellung von Lazarettzügen. Bis dahin hielt sie 196 „Rüstsätze“ vor, mit denen Personenzugwagen entsprechend umgerüstet werden konnten. Angesichts dieser Menge scheint die Zahl von lediglich drei neuen Zügen tatsächlich unwahrscheinlich, es sei denn es solle daneben wieder auf das „Rüstsatz“-Konzept zurückgegriffen werden.

In der Antwort wird nicht darauf eingegangen, warum dies nach 2007 nicht mehr nötig erschien. Personal dafür scheint es auch nicht zu geben, denn der „Betrieb der Züge durch Bundeswehrpersonal ist gegenwärtig kein Gegenstand der Überlegungen“. Tatsächlich scheint auch bis vor kurzem niemand ein solches Konzept vermisst zu haben; vielmehr war (und ist)die Luftwaffe bei aller Kritik und allem Sparwillen stolz auf ihre auch international renommierten Lazarett-Airbusse des Typs „MedEvac“. Überlebt hat allerdings die bis dahin für den Einsatzbereich gebräuchliche Abkürzung: PatTrsp Schiene.

Im Juli 2020 kam eine Rückkehr des militärischen Sanitätsdienstes schon einmal kurz aufs Tapet, wie das “Bundeswehr Journal“ aus Anlass der Zeitungsmeldung über die angeblichen ICE-Lazarettzüge berichtete. Damals schlug Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor, darauf hin zu arbeiten, dass die EU mit einem (!) Lazarettzug besser auf Epidemien und eine große Anzahl Schwerverletzter vorbereitet ist. dpa berichtete damals von einer Videokonferenz der Ministerin, die überraschend tief ins Detail ging: Mit dem EU-Partner Frankreich werde diskutiert, ob nach dem Vorbild von Flugzeugen zur medizinischen Evakuierung auch etwas für die Schiene entwickelt werden könne – „für die Verlegung quer durch Europa“. Man stelle sich „rollende Intensiveinheiten“ vor, „also Eisenbahnwaggons, die speziell dafür auch umgerüstet werden können, die man an jede Lok anhängen kann“, sagte die CDU-Politikerin. Frankreich habe in der Corona-Krise Intensivpatienten mit dem Schnellzug TGV zu freien Behandlungskapazitäten gebracht. Ein mobiles Konzept könne möglicherweise auch dort helfen, „wo wir gemeinsam im Einsatz sind“.

Weiter wurde das Thema zumindest in der Öffentlichkeit seither nicht elaboriert.

“Hohe zu erwartende Verwundetenzahlen”

Mit einem zumindest theoretisch drohenden Kriegseinsatz im Baltikum rückte die Notwendigkeit aber wieder in den Blick: „Im Rahmen einer Landes- und Bündnisverteidigungssituation, zum Beispiel im Baltikum, kann man nicht von einem sicheren Luftraums ausgehen“, heißt es in der Bundestags-Drucksache. „Auch der Schutz des Sanitätsdienstes kann nicht als gewährleistet vorausgesetzt werden, wie der aktuelle Ukrainekrieg zeigt.“ Damit sei der strategische Patientenlufttransport keine alleinige Option mehr. „Bei den hohen zu erwartenden Verwundetenzahlen wird ein Patientengroßraumtransport landgebunden daher zwingend benötigt.“

Die Züge sollen in Polen, Deutschland, den Niederlanden, Luxemburg sowie in Frankreich zum Einsatz kommen. Damit beantwortet sich auch die skeptische Frage nach den Einsatzmöglichkeiten, falls es unterschiedliche Spurweiten gibt. In den genannten Ländern liegt sie einheitlich bei 1435 mm. Lediglich die Stromsystem differieren, aber damit kommen zumindest die genannten Züge inzwischen zurecht. Dem Ministerium zufolge haben die Niederlande und sogar die Vereinigten Staaten bereits Interesse an einer Kooperation gezeigt.