Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt der Busbranche: Stand der Dinge –
Berlin, 16. April 2018 (ssl) Busfahrerinnen und Busfahrer sind Fachkräfte, ebenso wie die Männer und Frauen, die in Werkstätten für Wartung und Reparatur der Fahrzeuge oder als Disponenten für die betriebsinterne Logistik sorgen. Ihr Job ist ein Mangelberuf. Unter anderem deshalb sind Digitalisierung und autonomes Fahren kein Grund zu Befürchtungen, die Arbeitsplätze hätten keine Zukunft.
In Deutschland werden Busfahrerinnen und Busfahrer dringend gesucht. Um ihren Beruf ausüben zu können, brauchen sie eine besondere Ausbildung, eine spezielle Fahrerlaubnis und je nach Einsatzgebiet zahlreiche zusätzliche Fähigkeiten. Sie müssen belastbar sein und Verantwortung für die Sicherheit der vielen Fahrgäste hinter sich tragen können. Nicht selten sind sie der wichtigste persönliche Kontakt des Kunden zum Unternehmen.
Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) wirbt mit dem Slogan „Werd Pilot der Straße.“ Digitalisierung muss für die Piloten kein Schreckgespenst sein, auch wenn allenthalben von autonomem Fahren die Rede ist. Denn bis alle Busse sich ohne Fahrer durch Stadt und Land bewegen, dürfte es noch Jahrzehnte dauern. Die Chefin des größten deutschen Nahverkehrsbetriebs, der Berliner BVG, Sigrid Nikutta, erklärte Ende März 2018 bei der Eröffnung des Regelbetriebs eines autonomen Kleinbuslinie in der Berliner Charité mit einem deutlichen „Nein!“, Busfahrerinnen und Busfahrer müssten sich keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen. Vorerst verspricht die Digitalisierung im Gegenteil für alle Beteiligten Erleichterung. Aber die Frauen und Männer hinterm Steuer, in der Werkstatt oder im Büro müssen dazulernen.
Der Markt besteht laut BDO aus 103.000 Busfahrerinnen und Busfahrern, die derzeit den Fahrgastverkehr bewegen. Sie haben ein hohes Durchschnittsalter; Nachwuchs wird dringend gesucht. Wegen der guten Konjunktur ist er aber nur schwer zu finden.
Und der Markt wächst. In den Städten und auf dem Land nutzen immer mehr Menschen den öffentlichen Personennahverkehr, und der Fernbusmarkt verzeichnet nach wie vor Steigerungsraten. BDO-Präsident Karl Hülsmann: „Wir haben in vielen Regionen praktisch keine Arbeitslosen mehr, die sich auf offene Stellen bewerben könnten.“
Der Verband hat deshalb eine Kampagne gestartet, mit der die „Arbeitsangebote der Zukunft“ in der Busbranche jungen Leuten attraktiv vor Augen geführt werden. Es sei für jeden etwas dabei – ob „Technikfreak, Fahrertyp, Organisationstalent oder Service-Profi“.
„Fährt dieser Bus über …?“
Schon heute sieht der Arbeitsplatz ganz vorn im Bus voll digitalisiert aus, erst recht bei Elektrobussen. „Es ist wie bei einem Computer. Du drückst auf den Ein/Aus-Knopf, und der Rechner fährt hoch. Nur dass du auf dem Fahrersitz sitzt und der Computer im Bus eingebaut ist.“
Der Busfahrer im niederländischen Maastricht musste sich umgewöhnen, als er auf den Stuhl des Elektrobusses stieg. Er gibt zu: „Manchmal hängt er sich auch auf. Dann musst du ihn neu starten.“ Das Fahren mit elektrischem Strom macht ihm aber nach eigenem Bekunden Spaß. „Man entwickelt den Ehrgeiz, möglichst wenig Energie zu verbrauchen und so zu fahren, dass er sich auflädt.“
Da ist schon viel Digitales drin, mehr als der Gesetzgeber mit der „Grundqualifikation“ gemeint hat, die er jedem gewerblichen Führer eines Fahrzeuges zur Personenbeförderung abverlangt.
Das Wichtigste für Busfahrer ist nach wie vor der Busführerschein. Er kostet bis zu 10.000 Euro, viel für einen Schulabgänger, und nicht jedes Unternehmen ist bislang bereit, diese Summe im Rahmen der Ausbildung zur Verfügung zu stellen. Aber, so BDO-Präsident Hülsmann, die Unternehmer gingen immer mehr „dazu über, die Kosten mitzufinanzieren“. Anders als bei Lkw-Fahrern ist bei den Frauen und Männern am Bus-Steuer die Kenntnis der deutschen Sprache unabdingbar, denn eine ihrer Tätigkeiten besteht auch in der Beantwortung von Fragen der Fahrgäste: „Fährt dieser Bus über…?“ Darüber hinaus müssen sie sich mit Navigationssystemen und anderen digitalen Elementen der Unternehmensstruktur auskennen. Der Verband wirbt darüber hinaus damit, dass der internationale Wachstumsbereich Fernbus vor allem auch attraktiv für junge Leute ist: „Mit Elan und WLAN: Im Trend der Zeit und mit modernen Fernbussen fährst du die junge Generation von Stadt zu Stadt.“ So sichert eine Ausbildung als Berufskraftfahrer/in gerade wegen der Mangelsituation und dem zu erwartenden Wachstum im Mobilitätssektor auf absehbare Zeit den Lebensunterhalt.
Echte Allrounder des Öffentlichen Nahverkehrs
Neben dem Berufsbild des Berufskraftfahrers suchen die Unternehmen auch Fachkräfte im Fahrbetrieb.
Dieses Berufsbild ist anspruchsvoller als das des Berufskraftfahrers, weil es die Dispositions- und andere Verwaltungstätigkeiten wie Kundendienst oder Marketing einschließt. Der Busführerschein ist ebenfalls erforderlich. Der BDO nennt die Fachkräfte im Fahrbetrieb „echte Allrounder des Öffentlichen Nahverkehrs: Sie lenken Busse, Straßen- und U-Bahnen in der Region oder arbeiten in den Bereichen Verwaltung, Planung, Service und Öffentlichkeitsarbeit.“ Im Betrieb werten sie Fahrpläne des Verkehrsunternehmens aus, optimieren diese anhand der Auslastung und Wirtschaftlichkeit und kalkulieren so auch die Fahrpreise. Die Fachkräfte im Fahrbetrieb erstellen Dienstpläne und koordinieren die Bereitstellung des erforderlichen Personals. Gerade für die letztgenannten Tätigkeiten kommt die Digitalisierung ins Spiel. Die meisten Arbeiten sind ohne Hilfe von Rechnern nicht zu erledigen, neue Aufgaben kommen mit zunehmender Vernetzung des Mobilitätssektors garantiert dazu.
Kompetenzaufbau durch neue Mitarbeiter
Digitalisierung betrifft also nicht nur Busfahrer und Beschäftigte in Betriebshöfen oder Werkstätten, sondern besonders auch Mitarbeiter in Büros. Immer mehr Technologien und Verfahren ermöglichen die digitale Verarbeitung von Verkehrsdaten und damit mehr Nutzen für den Kunden.
Viele dieser Technologien werden schon heute angewendet, augenfällig sind etwa QR-Codes als Ersatz gedruckter Tickets und die zugehörigen Empfänger. „So erfolgt die Prüfung elektronischer Tickets auf Chipkarten oder Barcodetickets auf Smartphones mittels entsprechender elektronischer Lesegeräte“, teilen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit. Das passiert nicht nur, wenn Kontrolleure mit mobilen Datenerfassungsgeräten durch die U-Bahn oder Straßenbahn gehen, sondern auch beim Einsteigen in den Bus. „Der Einsatz dieser Systeme erleichtert unseren Kunden den Zugang zum Nahverkehr. Gleichzeitig ermöglicht es dem Unternehmen, Prozesse effizienter zu gestalten.“ Das Berliner Unternehmen ist zwar aus verschiedenen Gründen noch nicht so weit, diese Prozesse auf den individuellen Kunden auszurichten, es arbeitet aber an „sukzessivem Kompetenzaufbau“ bei den Beschäftigten. Sie müssen lernen, mit den neuen Techniken umzugehen. Es erweitert zudem die Arbeit mit den Daten. Das wiederum führt zu neuen Arbeitsplätzen: „An geeigneter Stelle wird dieser Kompetenzaufbau durch neue Mitarbeiter gezielt ergänzt.“
Es kommt eine Reihe von Arbeitsplätzen dazu. Darunter sind auch solche, die der Nutzer der Mobilität in Bussen nicht auf Anhieb erkennt. Um die Datenflut verarbeiten und als ertragreiches Geschäftsmodell nutzen zu können, müssen die Unternehmen auch in der IT neue Strukturen einziehen, denn für den mobilen Bürger wird eine Mobilitäts-App erst dann richtig attraktiv, wenn sie seine Vorlieben kennt. Das bedeutet, dass sie ihm zum Beispiel abends, wenn er aus dem Restaurant kommt, aus dem Smartphone heraus nur noch die Frage stellt: „Nach Hause?“, und ihm anschließend die schnellste oder günstigste oder landschaftlich schönste Route empfiehlt, zu der er dann auch gleich sein Ticket kaufen kann.
Abgesehen davon, dass es dazu eines grundlegend neuen Verständnisses von Datensicherheit beim Verbraucher bedarf, wird die wirkliche Individualisierung der erhobenen Daten von Millionen bis Milliarden Fahrten pro Jahr wegen der schieren Masse eine Aufgabe der Künstlichen Intelligenz bleiben. Aber um sie zu warten und zu verwalten, werden neue Arbeitsplätze entstehen, deren Beschreibung heute noch gar nicht geleistet werden kann. Ob und vor allem wann der Linienbus in voller Größe automatisch fährt und Mann oder Frau am Steuer überflüssig werden, kann auch kaum abgeschätzt werden. Der aktuelle Mangel an Fahrpersonal in der Branche wird damit jedenfalls nicht gelindert.
Schulung für Hochvolttechnik
Elektromobilität und Digitalisierung stellen auch das Werkstattpersonal vor neue Herausforderungen. Das heißt aber nicht gleich, dass ein neuer Ausbildungsberuf nötig wird. Es geht eher um Weiterbildung.
Die BVG etwa sieht „derzeit keine Notwendigkeit, neue Ausbildungsberufe aufzunehmen bzw. aktuelle Berufsbilder wegfallen zu lassen“. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Ausbildung nicht an die sich verändernden Anforderungen im Bereich der Fahrzeuginstandsetzung angepasst werde. Elementare Kenntnisse der Kraftfahrzeugmechanik werden nach wie vor gebraucht, denn ohne Achsen, Räder, Bremsen und Lenkung fährt kein Bus.
Besonders in der Elektromobilität ist es innen aber nicht mehr mit 24 oder 48 Volt getan. Es liegen Spannungen bis 1.000 Volt an. So „haben alle Ausbilder der Kraftfahrzeugmechatronik-Ausbildung der BVG an einer Schulung im Bereich Hochvolttechnik teilgenommen und besitzen die Befähigung zur Arbeit an eigensicheren E-Fahrzeugen“, berichtet das Unternehmen. Sie können nun Nachwuchs in der Fachrichtung Hochvolttechnik ausbilden.
In einer eigens geschaffenen Lerninsel können Auszubildende fachspezifisch und im betrieblichen Umfeld, aber in einem auf das Lernen spezialisierten Raum, an den aktuellen und zukünftigen Fahrzeugtypen ausgebildet werden. „Aber auch andere Ausbildungsberufe erhalten demnächst Einzug in die Werkstätten des Bereiches Omnibus“, heißt es weiter: Für den Karosseriebau und die wachsende Anzahl elektronischer Baugruppen in den Fahrzeugen werden Auszubildende der Industriemechanik und der Elektronik im Rahmen der betrieblichen Ausbildungsabschnitte beim Omnibus eingesetzt.
Beispiel Schorndorf: Der Busfahrer im digitalisierten Umfeld
Sowohl für das Unternehmen, das den Nahverkehr betreibt, als auch für vor Ort Beschäftigte und Nutzer ist die „letzte Meile“ im ÖPNV eine Herausforderung. Ein Modellversuch im schwäbischen Schorndorf, der Geburtsstadt Gottlieb Daimlers, nimmt sie an.
Das Fahren nach klassischen Taktfahrplänen ist umso verlustreicher, je feiner sich die Zielstationen verästeln und je weiter sie sich örtlich und zeitlich von den hochfrequentierten Korridoren entfernen. Der Passagier muss oft mehrere hundert Meter bis zur Haltestelle zu Fuß zurücklegen, wenn er beispielsweise in Einfamilienhaussiedlungen wohnt. Damit wird das System nicht nur für Menschen unattraktiv, die gleich neben der Haustür ein fahrbereites Auto stehen haben, sondern besonders für mobilitätseingeschränkte Personen.
Ein teilweise digitalisiertes Nahverkehrssystem, das dem Dilemma dieser Transportphase abhelfen und eine Win-Win-Situation schaffen soll, wird derzeit in Schorndorf erprobt. Es bringt erhebliche Umstellungen, aber auch Komfortzuwachs für den Fahrer mit sich. Am 10. März 2018 startete der Pilotbetrieb. Geleitet wird das „Reallabor“ vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Partner sind die Stadt Schorndorf, der Stuttgarter Verkehrsverbund VVS, Knauss Linienbusse, die Hochschule Esslingen und die Universität Stuttgart. Und natürlich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Schorndorf. Sie haben zunächst einen großen Vorteil, denn sie können sich am Wochenende digital einen Bus „holen“, wenn sie ihn brauchen. Per Digitalgerät oder in einem von 13 Geschäften oder Restaurants schicken sie ihren Fahrtwunsch ab. Ein Bestellsystem berechnet die reale Abholzeit und den Ein- und Ausstiegsort und teilt dies dem Nutzer mit. Dieser Ort muss nicht unbedingt eine Haltestelle sein: „Neben den bisherigen Haltestellen gibt es mehr als 200 potenzielle Ein- und Ausstiegsorte, sogenannte virtuelle Haltepunkte“, erklärt das DLR. Schon damit verändern sich die Anforderungen an die Fahrerinnen und Fahrer, denn bisher dürfen sie nur an gekennzeichneten Haltestellen Fahrgäste ein- und aussteigen lassen.
Zwei starre Fahrpläne ergänzt
Auch bei der Arbeitszeit wird es Veränderungen geben müssen. Denn das Betreiberunternehmen muss den Bus nur fahren lassen, wo und wenn er gebraucht wird. In Schorndorf ersetzt das Modell am Wochenende zwei bisher nach starrem Fahrplan verkehrende Linien im Süden der Stadt. Dort verkehren jetzt Kleinbusse, bei höherem Fahrgastaufkommen auch ein regulärer Omnibus.
“Da es keine festen Haltestellen, Routen und Fahrpläne gibt, mussten wir bei der Entwicklung unseres Bedienkonzepts viele neue Herausforderungen meistern – vor allem was die Kommunikation zwischen Nutzern, Busfahrern und der Disposition über das digital gestützte Bestellsystem betrifft”, erklärt DLR-Forscherin Laura Gebhardt. Eine rechnergestützte Disposition wertet die Fahrtwünsche aus und erstellt mit Hilfe eines Algorithmus daraus Routen für die einzelnen Umläufe. Die Busfahrer mussten sich an Nutzeroberflächen gewöhnen, um die Routen umzusetzen.
Ein Problem gab es zu lösen, und da mussten die Busfahrer mithelfen: Die „virtuellen Haltepunkte“ sind – wie der Name schon sagt – im Straßenland nicht als solche markiert. Wer nicht Teil des Busbetriebs ist, ob als Fahrer, Wartender am Straßenrand oder Passagier, der erkennt diese Punkte nicht als Stellen, die von allen Verkehrsteilnehmern besondere Aufmerksamkeit erfordern. Deshalb ist es im Regelbetrieb Busfahrern nicht erlaubt, außerhalb von Haltestellenbereichen Passagiere ein- oder aussteigen zu lassen. Für das Schorndorfer Modell regelten das die Beteiligten über eine „Experimentierklausel“ im Personenbeförderungsgesetz.
Festlegen mussten sie die Haltepunkte aber doch, denn es musste durch Vor-Ort-Prüfung sichergestellt sein, dass keine besonderen Gefahrenquellen vorliegen, etwa fehlende Bürgersteige, absolutes Halteverbot oder Radwege. Dazu unterzogen sich die Busfahrerinnen und -fahrer einer eigenen Schulung.
Im Alltag haben sie nach wie vor ganz normale Dienstpläne. Es hat sich nach den ersten Erfahrungen nicht gezeigt, dass ihnen etwa das Dilemma ihrer Kollegen in den Taxen bevorsteht, dass sie mangels Reisendenaufkommen in eine Art schlecht oder gar nicht bezahlten „Bereitschaftsdienst“ abrutschen. Das DLR erklärt, dass die Untersuchungen neue Erkenntnisse bringen werden, die sich auch auf Betriebsmodelle mit autonomen Fahrzeugen auswirken können. Es zeichne sich ab, dass die Arbeitsplatzbeschreibung weiter gefasst werden müsse. So zeigen erste Erfahrungen, dass der Busfahrer auch als Begleitperson arbeiten muss. Er oder sie muss zum Beispiel den Passagieren das System erklären, Ansprechpartner für Probleme sein oder mobilitätseingeschränkten Personen helfen. „Ohne Fahrer ist der Schorndorfer Versuch nicht vorstellbar“, heißt es beim DLR.
(Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde im Auftrag der Berliner BUS2BUS -Messe erstellt, die im zweijährigen Turnus auf dem Messegelände stattfindet, das nächste Mal wieder vom 19.-21. März 2019. Er wird auf deren Webpräsenz in modifizierter Form erscheinen.)