Pleite über den Wolken

Große Gefäße sind nicht immer die richtige Verpackung. Der Lufthansa-Airbus “Berlin” bei seiner Taufe am Flughafen Tegel. © Foto: Rietig

Bekannte große Airlines fliegen in die Pleite: Signalisiert das Verschwinden von Air Berlin, Alitalia und Monarch einen grundlegenden Wandel im Luftverkehr? Was bedeutet das für die Preise? Sie steigen. Aber noch sind sie auf einem Rekordtief, sagen Fachleute.

Fliegen ist seit Jahrzehnten nicht mehr einer privilegierten Klasse vorbehalten: Eine Handvoll Euro reicht heute für eine Flugreise. Nicht alle Fluggesellschaften schaffen es, damit wirtschaftlich zu operieren, wie die jüngsten Pleiten zeigen. Eine Ursache dafür kann ausgeschlossen werden: mangelnde Nachfrage. Wer heute professionell operiert, fliegt mit vollen Flugzeugen. Alle Prognosen sowohl von großen Herstellern wie Airbus und Boeing als auch von Fluggesellschaften selbst, sagen weltweit, aber auch für Europa, ein Wachstum voraus, das bis 2030 über den Prognosen für die Gesamtwirtschaft liegt.

Der wirtschaftliche Sinkflug von Air Berlin dauerte lange. Nachdem vor einigen Jahren die arabische Fluggesellschaft Etihad Anteilseigner wurde, kamen Finanzspritzen aus Abu Dhabi, aber die Schulden wuchsen dennoch gewaltig. Schließlich drehten die Scheichs den Geldhahn zu. Am 27. Oktober landete zum letzten Mal ein Air-Berlin-Linienflug in Tegel.

Der Nürnberger Unternehmer und Pilot Hans Rudolf Wöhrl hat selbst wechselvolle Erfahrungen mit dem Eigentum an Fluggesellschaften. Ihm gehörte einmal die Fluggesellschaft dba, die später Teil von Air Berlin wurde. Er gab ein Angebot zur Übernahme von Air Berlin ab, unterlag aber der Lufthansa. Wöhrl beantwortet die Frage: Missmanagement oder Strukturwandel?“ mit „Sowohl als auch“1, fährt aber fort: „Die Anfälligkeit für Pleiten war bei Airlines schon immer groß.“ Er nennt etwa PanAm: Legendär sind konkursähnliche Zustände bei US-amerikanischen Fluggesellschaften nach dem 11. September 2001, die teils im Bankrott, teils in Übernahmen, teils in erfolgreichen Reorganisationen endeten. Seitdem ist übrigens innerhalb der USA die Zeit der Billigflüge weitgehend vorbei.

Auch in Europa ist das Betreiben von Fluggesellschaften nicht risikofrei. Da pflichtet der Luftverkehrsexperte des Deutschen Verkehrsforums, Rainer Schätzlein2, dem Unternehmer bei: „Es gibt in Europa nicht viele Fluggesellschaften, die dauerhaft schwarze Zahlen schreiben. Insofern ist es nicht überraschend, wenn auf lange Sicht einzelne Player aus dem Markt austreten oder durch andere Airlines, die besser dastehen, übernommen werden.“

Unverzeihlicher Sündenfall“

Oft greift auch der Staat in den Markt ein. So nennt Wöhrl den 150-Millionen-Überbrückungskredit der staatlichen KfW-Bank während der Insolvenz einen „unverzeihlichen Sündenfall der Groko! Ohne diese wäre der Markt sehr schnell unter vielen Gesellschaften aufgeteilt und der Wettbewerb gestärkt worden!“ Wöhrl sieht auch politischen Einfluss als Ursache für den gegenwärtigen Umbruch: „Auf der einen Seite will man den freien Wettbewerb, auf der anderen Seite aber sollen Airlines eine wichtige Rolle bei der Infrastruktur spielen. Das alles führt dazu, dass es immer schwieriger wird, etwas Dauerhaftes aufzubauen, weil man immer Gefahr läuft, dass der eigene Erfolg den Wettbewerb auf den Plan ruft, der dann mit günstigen Preisen Rosinenpickerei betreibt.“ Regionalfluggesellschaften, die in den 80er Jahren noch profitabel gewesen seien, seien vom Markt verdrängt worden, weil „sich immer dann, wenn eine von deren Strecken gut lief, die Großen wieder drauf setzten.“ Als Beispiel nennt er seine eigene InterSky, die aus Friedrichshafen am Bodensee operierte, aber 2015 den Betrieb einstellte. Auf vielen Regionalstrecken gibt es so wenig Nachfrage, dass sie für sich gesehen, keinen Wettbewerb mehrerer Anbieter erlauben. Berlin-Saarbrücken ist so ein Beispiel.

Zwischen Düsseldorf und München dagegen boten bislang die Lufthansa 352 und Air Berlin 276 Starts (September 2017) an. „Es gibt keine weiteren Flüge anderer Gesellschaften. Das bedeutet: Lufthansa hat einen Anteil von 56 Prozent und Air Berlin von 44 Prozent auf dieser Strecke“, sagt Peter Berster vom Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln3. Dort wird der Billigfliegermarkt mit dem Low-Cost-Monitor regelmäßig beobachtet. „Auf den innerdeutschen Strecken hat Lufthansa/Eurowings/Germanwings einen Anteil 71,5 Prozent und Air Berlin von 24,2 Prozent“, erklärt Berster weiter.

Im Winterflugplan bedient Ryanair die Strecke Berlin-Köln nicht mehr, und damit bleibt Lufthansa dort vorerst allein – zumindest in der Luft. Von Monopol für einzelne Strecken darf da schon gesprochen werden, auch wenn die Lufthansa alles tut, um der Politik klar zu machen, dass sie, regional betrachtet, durchaus im Wettbewerb steht4. Betrachten wir es verkehrsträgerübergreifend, so ist da noch die Deutsche Bahn als Konkurrent. Wenn es von Berlin aus nicht gerade das 600 km entfernte Köln sein soll, sondern eine Stadt im Ruhrgebiet, ist sie auf dieser Strecke ebenso konkurrenzfähig wie in Kürze bei der Verbindung Berlin-München, die die ICE-Züge ab Dezember in weniger als vier Stunden zurücklegen. Billiger ist das allerdings nicht immer.

Zwischen Low Cost und Full Network

Was bedeutet das nun für die Preise? Air Berlin war eine „Hybrid-Airline“, wirtschaftlich zwischen einer Billigfluglinie mit reinem Punkt-zu-Punkt-Verkehr und dem eines traditionellen Netzwerkbetreibers wie Lufthansa angesiedelt. Die bis vor kurzem zweitgrößte deutsche Airline wollte sich in jüngster Zeit aber nicht als „Low Cost Carrier“ sehen, sondern als „Full Network Carrier“5. In der Tat konnte Air Berlin Reisende, die zu spät buchten, mit Preisen bestrafen, die sogar über denen der Lufthansa lagen.

Die Frage nach einem möglichem Anstieg der Ticketpreise beantworten alle Fachleute mit einem klaren Ja. Nur wann sie steigen, das ist die offene Frage. Auf die weltweiten Verbindungen dürften die Pleiten kaum Auswirkungen haben, da hier unter anderem wegen der Hub-Strategie aller Full Network Carrier tatsächlich Wettbewerb herrscht. Oft kann der interkontinental Reisende nicht mehr direkt zum Ziel kommen. Hat er aber ohnehin keine Wahl zwischen Direktflug oder Umsteigen, dann ist es ihm auch egal, ob er auf der Reise nach Übersee in Frankfurt, London, Abu Dhabi oder Reykjavik umsteigt. Viele große Hubs, etwa Istanbul, sind gerade ausgebaut worden und ticketpreiswirksam subventioniert. Im europäischen Netz dürften die Preise nur auf bestimmten Relationen steigen, etwa nach Mallorca, wo Air Berlin ein Platzhirsch war. Außerdem muss zwischen Billigfliegern und Vollservice-Airlines unterschieden werden, weil sich nur bei letzteren die Wettbewerbsverhältnisse deutlich verschieben.

Dass die Ticketpreise wegen der Air-Berlin-Pleite sinken, glaubt tatsächlich niemand. Aber noch sinken sie trotz der Pleite, jedenfalls bis Ende September, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in seinem Low Cost Monitor ermittelte6. Auch der Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV), Ralph Beisel7, bestätigt das, fügt aber hinzu: „Im innerdeutschen Markt sind die Konsequenzen der Air Berlin-Insolvenz tatsächlich spürbar.“ Er verweist aber darauf, dass der Fluggast dank der Digitalisierung von hoher Preistransparenz profitiert: „Flugpreise sind jederzeit über das Internet transparent und damit bestens vergleichbar. Es können Filter eingesetzt werden nach Preis, Abflug- und Umsteigezeiten und so weiter.“

Billigflieger drängen auf große Airports

Neben der Zahl der Mitspieler am Markt spielen noch Ölpreis, Gebühren oder Steuern eine Rolle. Laut Low-Cost-Monitor liegt das Rekordpreistief am scharfen Wettbewerb der Billigflieger. Ryanair, Easyjet, Norwegian und die ungarische Wizz Air haben „trotz verstärkter Präsenz an größeren Flughäfen“, an denen die Landegebühren höher sind, die Preise gegenüber 2016 gesenkt. Gründe „sind u.a. steigender Wettbewerb und ein geringer Ölpreis“. Beisel sieht das auch als Wachstumsfaktor: „Ryanair und Easyjet zeichnen sich durch einen hohen Anteil an Point-to-Point-Verkehren aus. Waren diese Low Cost-Airlines bisweilen an den kleinen und mittleren Flughäfen stationiert, sind diese jetzt zunehmend an den Hub- und Drehkreuzflughäfen vertreten.“ Das DLR führt europäische Preisbeispiele auf, und bei einem Vorausbuchungszeitraum von drei Monaten finden sich selten dreistellige Zahlen.

Die Forscher legen sich nicht fest, wie es nach dem Verschwinden von Air Berlin vom Markt weitergeht. Gesicherte Zahlen gibt es nur bis Ende September oder – mit Vorausbuchungsfrist – bis Jahresende. Der wirklich kritische Zeitraum begann aber erst Ende Oktober, weil nach dem letzten Air-Berlin-Flug die Maschinen der Pleite-Linie erst einmal am Boden bleiben müssen. Dafür kündigte allerdings unmittelbar danach Easyjet die Übernahme einiger Air-Berlin-Verkehre vom Flughafen Berlin-Tegel an.

Am 28. Oktober standen nach den Worten von Lufthansa-Chef Carsten Spohr von 140 Air-Berlin-Flugzeugen ungefähr 80 bis 90 am Boden. Deren Kapazitäten fehlen also am Markt. Spohr stellte bei der Präsentation der jüngsten Quartalsergebnisse eine vollständige, optimierte Integration vorbehaltlich der kartellrechtlichen Entscheidungen erst für den Winterfahrplan 2018 in Aussicht. Erst dann wäre die Kapazität wieder da, wie sie auch vor der Pleite bereitstand. Wie es also 2018, insbesondere zur Urlaubssaison aussieht, ist sehr schwer zu prognostizieren. „Der Low Cost Monitor hat die Preise verschiedener Gesellschaften bis Herbst untersucht, mit einem Vorausbuchungszeitraum von bis zu 3 Monaten, also bis Ende des Jahres. Hierauf beziehen sich die Aussagen“, sagte Berster vom DLR zu der Frage, wie es nach dem Grounding mit den Preisen weiter geht. Es könne durchaus sein, dass „es demnächst zu Kapazitätsengpässen kommen kann und daraufhin die Preise steigen können“. Noch sei auch offen, in welchem Maß Easyjet Air-Berlin-Strecken übernehme.

Hecht im Karpfenteich: Ryanair

Wenn die Tickets der Billigflieger in nächster Zeit teurer werden, könnte ein weiterer Grund bei dem Hecht im Karpfenteich zu suchen sein, den kaum jemand leiden kann, aber jeder wegen seiner Performance beneidet: Ryanair. „Europe‘s No.1 Airline“, wie sie sich selbst nennt – in Deutschland ist Eurowings Marktführer -, streicht aus Personalmangel Tausende Flüge8. Damit wird der Platz noch einmal verknappt, die Preise könnten steigen. Wahrscheinlich wird sich diese Knappheit zuerst auf die Geschäftsreisetickets und die Last-Minute-Preise auswirken.

Das vielbeschworene Wachstum im Weltluftverkehr ist nämlich tatsächlich zum überwiegenden Teil auf die Billigflieger zurückzuführen. Für Europa nennt der Flughafenverband ACI die Quote von 76 Prozent9. Beisel bestätigt das: „In den letzten Jahren waren die Low Cost-Airlines, wie Ryanair und Easyjet, starke Wachstumstreiber an deutschen Flughäfen. Mittlerweile ist der stärkste Wachstumspartner für die deutschen Flughäfen die Eurowings.“ Wenn aber die Schnäppchenmentalität obenan steht, dann hat das in der Regel negative Auswirkungen auf die Erlöse, und dann heißt es für den Unternehmer: „Die Masse macht‘s.“ Das merken auch die Beschäftigten auf ihren Gehaltszetteln.

Ein Ende der Umstrukturierung ist nicht abzusehen. Noch offen ist, wer das Rennen um Alitalia gewinnt. Ob es der Lufthansa gut täte, dort auch noch einzusteigen, wird bezweifelt. Wöhrl sagt: “Wenn LH sich hier nicht die Finger verbrennen will, dann muss sie ähnlich wie bei AB vorgehen. Also um es deutlich zu sein, einen dirty deal wagen. Ob sich das die italienische Regierung und die vielen Interessengruppen dort genauso widerstandslos gefallen lassen werden, das wage ich zu bezweifeln. Am Ende könnte das neben der Integration von AB zu einem Dreifrontenkrieg für LH werden, und ein solcher geht selten gut aus.”

Wie immer es ausgeht, der Flugverkehr wird wachsen, aber die strukturellen Veränderungen werden für manche Beteiligten schmerzlich sein. Wöhrl schildert den Mechanismus so: „Der Luftverkehr in Europa befindet sich im Umbruch und wird sich wie in den USA erst in ein paar Jahren neu manifestieren. Dann wird es ein paar ganz große Gesellschaften geben, die zunächst profitabel, weil teuer, sind. Das wird erneut weitere, preisaggressive Wettbewerber auf den Plan rufen und auf beiden Seiten zu Pleiten führen.“

(Dieser Beitrag erschien [kürzer und ohne Fußnoten] zuerst am 31. Oktober 2017 in der Zeitschrift “Das Parlament” des Deutschen Bundestages.)

1 Dieses und alle folgenden Wöhrl-Zitate aus einer Mail des Unternehmers vom 18. Oktober an den Verfasser.

2 In einer Mail an den Verfasser vom 18.10.2017

3 Berster-Zitate aus einer Mail Bersters an den Verfasser

7 Alle Beisel-Zitate aus einer Mail an den Verfasser