Sachverständige fordern mehr Transparenz im Luftverkehr – Auch Planung von Flughäfen sollte reformiert werden
Die Verfahren bei der Festlegung von Flugrouten an deutschen Flughäfen sind nach Ansicht des Sachverständigenrates für Umweltfragen dringend reformbedürftig. Sie entsprächen teilweise nicht den EU-Vorgaben, erklärte der Berliner Juraprofessor Christian Calliess am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung eines Sondergutachtens zum Thema „Fluglärm reduzieren“. Außerdem berücksichtigten sie nicht die gestiegenen Ansprüche der Bevölkerung an Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung.
Im einzelnen forderten die Sachverständigen in ihrem Gutachten, das sie am selben Tag Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) übergaben, eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) auch bei der Festlegung von Flugrouten. Bisher ist diese in Deutschland gesetzlich nicht erforderlich, was der Bundesrepublik im Streit über den neuen Berliner Flughafen bereits ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission eingebracht hat.
Ferner sollte die Einbeziehung des Umweltbundesamtes (UBA) nachdrücklicher geregelt werden. Bisher ist nur das „Benehmen“ zwischen dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) und dem UBA erforderlich. Die Sachverständigen plädieren aber für ein „Einvernehmen“, also für die zwingend nötige Zustimmung des UBA, insbesondere hinsichtlich des Lärmschutzes. Offen ist, ob die UVP Lärmschutzgesichtspunkte einschließt oder nur Naturschutz berücksichtigt. Sollte letzteres der Fall sein, könnte es nach Ansicht von Kritikern passieren, dass nicht über Naturschutzgebieten, wohl aber über Wohngebieten geflogen werden dürfe. Müsste jedoch ein „Einvernehmen“ zwingend hergestellt werden, so wäre der Lärmschutz über den Umweg des UBA automatisch Teil der Genehmigung für Flugrouten.
Calliess kritisierte außerdem den großen zeitlichen Abstand zwischen Flughafen-Planfeststellung und endgültiger Festlegung von Flugrouten. Die bei der Planfeststellung berücksichtigten Prognosen könnten ohne weitere Öffentlichkeitsbeteiligung geändert werden, wie es in Berlin mit einem Abstand von mehreren Jahren auch geschehen sei. „Damit sind aber auch Menschen betroffen, die vorab nichts wissen und sich nicht beteiligen konnten“, sagte der Juraprofessor.
Noch dazu werde in der Praxis viel zu häufig Gebrauch von Einzelfreigaben gemacht. Mit ihnen gestatten die Fluglotsen den Piloten Abweichungen von festgelegten Routen. Würden diese Einzelfreigaben aus Sicherheitsgründen erteilt, so sei dagegen nichts einzuwenden, sagte Calliess. Es geschehe aber „oftmals aus rein ökonomischen Gründen“ und sei die Regel und nicht die Ausnahme. Damit werde aber der gesetzlich vorgesehene Prozess ausgehebelt.
Der Sachverständigenrat forderte überdies die eindeutige rechtliche Festlegung von Lärmschutzgrenzwerten auch beim aktiven Lärmschutz. De facto würde dies ein Flugverbot für alle Maschinen bedeuten, die diese Grenzwerte überschritten. Bisher gebe es im deutschen Recht nur Grenzwerte für den passiven Lärmschutz, also Werte, oberhalb derer Schallschutzmaßnahmen getroffen oder Entschädigungen gezahlt werden müssen. Allerdings hat die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO ihrerseits solche Grenzwerte festgelegt, an die sich der Luftverkehr bereits hält.
Schließlich regte das Gremium auch an, der „schleichenden Erweiterung“ von Flughäfen, etwa durch Terminalerweiterungen oder Parkhausbau, zu begegnen, indem dafür Planfeststellungsverfahren vorgeschrieben würden. Durch solche „kleinteiligen Maßnahmen“ erhöhte sich ebenfalls die Kapazität des Flughafens und damit auch der Fluglärm, argumentierte Calliess. Bisher ist die Planfeststellung nur bei wesentlichen Erweiterungen vorgeschrieben, etwa beim Bau zusätzlicher Start- und Landebahnen. Alle Maßnahmen dienten nicht nur der Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch der Akzeptanz des Flugverkehrs in der Bevölkerung. Das bestehende Recht zeichne sich „aus historischen Gründen durch eine Privilegierung des Luftverkehrs gegenüber dem Lärm- und Umweltschutz aus“. Es müsse nun „zeitgemäß ausgestaltet werden“, sagte Calliess.
Zur Pressemitteilung und dem Gutachten als Download: www.umweltrat.de