Luftfahrt und Drittes Reich

Aus der Perspektive eines Zollbeamten – Eine Buchbesprechung

Berlin, 19. April (ssl) Der Titel des Buchs „Faszination Fliegen“ ist erklärungsbedürftig. Es geht nämlich weniger ums Fliegen an sich als vielmehr um die Faszination, die die Luftfahrt auf Hermann Benkowitz in den 1930er Jahren ausübte. Benkowitz war ein Zollbeamter, der in dieser Zeit am Frankfurter Flughafen Dienst tat. Er hat viele Dokumente hinterlassen, die mit dem Fliegen und mit seinem alltäglichen Leben zu tun haben – von der Fahrradrechnung bis zum Freiticket nach Italien. Daraus wurde das Buch, also eine Art Nachlassverarbeitung. Dieser Blog-Eintrag steht hier also nicht nur wegen der Luftfahrt-Thematik, sondern auch, weil es zu den Sichtungen aus eigenen Familienbeständen passt, etwa hier Hinter den Dokumenten und zwischen den Zeilen beantwortet das Buch einige Fragen, die die Autorin Dagmar Stange eigentlich eher ausklammern wollte. So heißt es im Vorwort: „Obwohl diese Jahre vom Nationalsozialismus beherrscht werden, wird dieses Thema hier nicht vertieft.“ Sollte aber, finden wir, auch wenn sie sich mehrfach mit den Worten „aus der Perspektive Hermann Benkowitz‘“ absichert.

Die luftfahrttechnische Meisterleistung, als die sie etwa die Ju 52 darstellt, ändert nichts daran, dass in der Geschichte dieses Flugzeugs die Luftangriffe im Spanischen Bürgerkrieg immer „mitfliegen“. Sie haben zur Zerstörung der Stadt Guernica 1937 geführt – in einem Zeitraum, den die Autorin als „Goldene Jahre“ der Luftfahrt bezeichnet. Auch das Ende der Zeppelin-Luftfahrt nach der Katastrophe von Lakehurst fällt in diese Zeit, wird aber im Gegensatz zu den militärischen Ereignissen thematisiert, weil sie mit ursächlich für den Strukturwandel des Frankfurter Flughafens war.

Tatsächlich wird aber doch klar, wie Leben und Arbeit gerade an einem strategisch so wichtigen Ort wie dem Frankfurter Flughafen immer mehr vom bevorstehenden Krieg bestimmt wird, der der zivilen Luftfahrt am Ende für geraume Zeit den Garaus machen wird. Obwohl – oder weil – keine Meinungsäußerung von Benkowitz in dem Buch direkt erkennbar ist, tut man ihm wohl posthum nicht unrecht, wenn man ihm die Erfüllung seines Beamteneids auch in Zeiten politischer Konstellationen wie der nationalsozialistischen Herrschaft unterstellt.

Unter dieser Prämisse bekommen seine zahlreichen Freiflüge nach Italien kurz vor Kriegsbeginn eine eigene Bedeutung. Freiflüge dürften bei dem relativ knappen Sitzplatzangebot für scheinbar Außenstehende wie einen Zollbeamten etwas ausgesprochen Rares gewesen sein. Ob diese Flüge möglicherweise in einem irgendwie offiziellen Auftrag unternommen wurden, bleibt aber offen. Die Autorin räumt selbst ein: „Nicht zu klären waren die Gründe für diese Reisen.“

Die Autorin weist in Zeitleisten und anderen Informationsformaten auf wichtige luftfahrthistorische und gesellschaftliche Entwicklungen hin, aber eben in der Regel nur „aus der Perspektive Hermann Benkowitz‘“. Insofern taugt es nicht als Geschichtsbuch. Allerdings würde es sicher Spaß machen, aus den bereitgestellten und weiteren Dokumenten einen Agentenroman zu schreiben, der zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zwischen Deutschland und Italien spielt und dessen Protagonist ein einfacher Beamter ist.

Stange, Dagmar: Faszination Fliegen. Die zivile Luftfahrt und der Flughafen Rhein-Main in den 1930er Jahren. Berlin: be.bra verlag 2017. 128 Seiten, zahlreiche Abbildungen. ISBN 978-3-89809-136-7, 28 Euro (Österreich 28,80 Euro, Schweiz 34,80 sfr)