Wo Acker und Kiebitz zusammenpassen

Am Blühstreifen. © Foto: Rietig

Projekt „F.R.A.N.Z.“ bremst Artenschwund, ohne die Landwirtschaft auszubremsen

Berlin, 10. Januar (ssl) Einer der reichsten Männer der Welt saß am Montag zwischen den Stühlen. Es war Michael Otto, Aufsichtsratschef des gleichnamigen Konzerns, den er zu einem der größten Versandunternehmen der Welt ausgebaut hat. Er ist auch Namens- und Geldgeber einer Stiftung, die sich dem Umweltschutz verpflichtet hat. Es ging darum, Ackerkräutern und Tieren wie Kiebitz und Feldhase wieder mehr Lebensraum zu verschaffen und gleichzeitig die Landwirtschaft nicht zu sehr zu belasten.

Otto saß auf dem Podium der Bundespressekonferenz. Sehr passend arrangiert, hatten links von ihm Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, zur Rechten der Präsident des Bauernverbandes , Joachim Rukwied, Platz genommen. Ganz links, von Otto aus gesehen, passte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt nicht so richtig ins politische Arrangement.

Zehn Tage vor Eröffnung der weltgrößten Landwirtschaftsmesse, der Grünen Woche in Berlin, setzten alle vier einen grünen Akzent in der Landwirtschaftspolitik. Sie proklamierten den Beginn des Demonstrationsprojekts F.R.A.N.Z. (Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft). Kurz zusammengefasst, sollen damit in den nächsten drei Jahren Strategien erarbeitet werden, wie dem immer noch anhaltenden Artenschwund in der Landwirtschaft beizukommen ist, ohne dass diese dabei den dann sauberen Bach runtergeht. Ausgesucht wurden zehn Intensiv-Ackerbau- und Grünlandbetriebe, die über das ganze Bundesgebiet verteilt sind.

Noch nicht ganz an einem Strang

Tatsächlich hörten sich die Eingangs-Statements besonders von Ministerin Hendricks und Bauernpräsident Rukwied nicht so an, als ob sie beide schon an einem Strang zögen. Es klang vielmehr so, als habe der Verband sich nach dem Motto „If you can’t beat them, join them“ mit ins Boot gesetzt, um die schlimmsten umweltpolitischen Klippen umschiffen zu helfen. Er tat es in dem „Wissen, dass es um sachliche Fragestellungen geht und nicht um die Systemfrage per se“, was immer das in der Landwirtschaft sein mag.

Mohn vor dem Acker. © Foto: Rietig

So beklagte die SPD-Politikerin, dass viele Naturschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft nicht zielgerichtet unternommen würden, sondern „danach konzipiert, wie sie am besten in die landwirtschaftliche Produktion passen“. Auch deshalb solle künftig das Geld aus Brüssel nicht mehr einfach nach der Fläche des jeweiligen Betriebes verteilt werden, sondern berücksichtigen, wie viel die Betriebe für Naturschutz tun. Die Landwirte und ihre Verbände müssten sich darüber im klaren sein, dass das EU-Geld nur dann weiter in gleicher Höhe fließe, wenn die Betriebe einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag über die schlichte Produktion hinaus leisten und damit die Akzeptanz in der Bevölkerung mindestens gleich bliebe.

“Rentabilität nicht signifikant beeinträchtigen”

Rukwied dagegen stellte eingangs schon einmal fest: „Wir haben keine Natur-, sondern eine Kulturlandschaft“, und betonte, dass es „in erster Linie“ darauf ankomme, Lebensmittel zu produzieren. Alle Versuche, in der Landwirtschaft Naturschutz zu betreiben, „müssen praxistauglich sein“, hob er hervor, und sie dürften „die Rentabilität nicht signifikant beeinträchtigen“.

Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz waren erst neun Betriebe vom Oberallgäu bis Vorpommern gefunden, mit dem zehnten stehe man jedoch in Erfolg versprechenden Gesprächen, sagte Rukwied. Auch die demonstrative Kooperationsbereitschaft zwischen „Christian und Barbara“ (Schmidt) stellte das CSU-Kabinettsmitglied als normal dar. „Es geht nur mit Kooperation“, betonte er.

Wie läuft das nun konkret? „Es wurden nur Betriebe herausgesucht, die wirtschaftlich zukunftsfähig sind“, sagte Rukwied. Zunächst werde deren Status quo aufgenommen. Otto ergänzte, es gehe eben darum, Maßnahmen zu erproben, die dem Naturschutz dienen und zugleich betriebswirtschaftlich tragfähig seien. Ottos Stiftung verwaltet und koordiniert die zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt. Rukwied sagte aber, wirklich belastbare Ergebnisse könnten erst nach einer etwa zehn jährigen Dauer erwartet werden, was allgemeines Kopfnicken am Podium bewirkte.

Wissenschaftliche Begleitung

Mehrere wissenschaftliche Institute begleiten das Projekt sowohl hinsichtlich der sozio-ökonomischen Auswirkungen, in Sachen „Insekten und Landschaftsmodellierung“, für Pflanzen und Wirbeltiere. Öffentlich gefördert wird die erste Projektphase bis 2019 mit etwa 3,7 Millionen Euro, von denen 2,9 Millionen von der Landwirtschaftlichen Rentenbank und 0,8 Millionen aus Mittel des Umweltministeriums. Otto-Stiftung selbst gibt zwei Millionen dazu. Soweit wie möglich werden die Naturschutzmaßnahmen über Agrarumwelt- und Kompensationsprogramme sowie die Greening-Prämie der EU für Landwirte finanziert, die konkrete Umweltleistungen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus erbringen. „Sollten diese Programme nicht greifen, werden Projektgelder für die Umsetzung eingesetzt.”

Wohl intakt, aber rentabel? Landwirtschaft in Berlin. © Foto: Rietig

Das eigentliche Ziel ist, dass alle Akteure auf sachlicher Basis zusammengebracht werden und sich mit wissenschaftlicher Unterstützung über die besten Maßnahmen zur Verringerung der Umweltbelastung durch die Landwirtschaft austauschen können. F.R.A.N.Z. sei nicht nur ein Demonstrations-, sondern ein Dialogprojekt, sagte Otto.

Es klang bei der Vorstellung insofern gut, als durch Auswahl der Betriebe und Konstruktion der Initiative den klassischen Stammtisch-Argumenten, die Naturschützer von jeder Diskussion mit Vertretern der Agrarwirtschaft kennen, schon der Wind aus den Segeln genommen scheint. Durch die Auswahl intensiv genutzter Betriebe dürften die aktuellen Probleme schon beim Aufarbeiten des Ist-Status deutlich werden. Dank der Verteilung übers ganze Bundesgebiet ist regionalen Besonderheiten Rechnung getragen. Die Landwirte selbst werden mit eingebunden. Auch an die Ökobauern wurde gedacht, indem sie mittelfristig ebenfalls teilnehmen sollen. Ein Flyer listet einige der geplanten Naturschutzmaßnahmen auf: Blühstreifen und -flächen, lichteren Getreidebestand, Brachestreifen oder etwa 20 Quadratmeter große „Feldlerchenflächen“, auf denen auch Feldhasen ihre Ruhe finden können, und „Kiebitzinseln“, brachliegende Feuchtstellen im Acker.

Schließlich sollen, wie Otto betonte, möglichst viele Landwirte gewonnen werden, die die erfolgreich erprobten Maßnahmen umsetzen. Er erhofft sich davon eine „europaweite Signalfunktion“. Die Natur wird es ihm danken.