Bahnpolitik nach dem Motto: „Links blinken, rechts abbiegen“

EVG-Chef und Bahn-Aufsichtsratsvize Kirchner zieht enttäuschende Bilanz nach einem Jahr Großer Koalition

Dunkle Wolken über der Bahnzukunft. Foto: Rietig
Dunkle Wolken über der Bahnzukunft. Foto: Rietig

Berlin, 12. Dezember (ssl) Der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft EVG und stellvertretende Aufsichtsratschef der Deutschen Bahn AG, Alexander Kirchner, hat nach einem Jahr Großer Koalition eine enttäuschende Bilanz der Regierungspolitik gezogen. Entgegen vielversprechenden Aussagen im Koalitionsvertrag habe die praktische Politik viel getan, um „mehr Verkehr auf der Schiene“ zu verhindern, sagte Kirchner am Donnerstag Abend (11. Dezember) bei einer Veranstaltung der Allianz pro Schiene.

„Links blinken, rechts abbiegen“, machte Kirchner als Motto bisherigen Koalitionshandelns aus. Lkw-Maut gesenkt, Fernbusse mautbefreit, Gigaliner-Erlaubnisse erweitert und vieles andere führte er auf seiner Liste der Regierungsaktivitäten an, die die Schiene schwächen würden. Er sagte Reduzierungen des Bahnangebots wegen anhaltenden Kosten- und Gewinndrucks für das kommende Jahr voraus. Selbst das rund 30 Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm, mit dem die Bahn ab sofort bis 2019 ihr teilweise marodes Netz sanieren will, steht nach Kirchners Ansicht auf „tönernen Füßen“.

EEG-Umlage

Vieles treffe aber vor allem den Schienengüterverkehr, sagte der EVG-Vorsitzende. Als Beispiel nannte er die EEG-Umlage, die eine „weder ökonomisch noch ökologisch gerechtfertigte“ Mehrbelastung von 120 Millionen Euro jährlich für das System Schiene bringe. Wenn die Eisenbahn-Verkehrsunternehmen dies auf die Kunden umlegen würden, könnten sie bald ihren Marktanteil gegenüber dem Lkw nicht mehr halten. Zurzeit beträgt er etwa 28 Prozent.

Eine moderne Elektrolok der Baureihe 189, hier vor einem gemischten Personen- und Güterzug, dem ersten, der von Deutschland nach Moskau auf die Reise ging. Das Bild entstand 2005 am Bahnhof Seddin südwestlich von Berlin.
Der Güterverkehr ist nach Kirchners Ansicht besonders betroffen. Foto: Rietig

Lkw-Maut

Die Reduzierung der Lkw-Maut, die die Bundesregierung mit einem höheren Anteil schadstoffarmer Laster begründet, sei ebenfalls nicht nötig gewesen. Zwar habe die Bundesregierung auf die EU-Gesetzgebung verwiesen, merkwürdigerweise hätte diese aber in Tschechien und Österreich nicht zu einer Reduzierung der Mautsätze geführt. Kirchner äußerte den Verdacht, die Bundesregierung habe schon die Gutachter mit Blick auf dieses gewünschte Ergebnis ausgewählt. Für die Schienengüterverkehrstochter DB Schenker Rail bedeute die Senkung einen Ergebnisverlust von 70 Millionen Euro, für die übrigen EVUs von weiteren 30 Millionen jährlich.

Die entsprechende Verordnung sei zwar noch nicht endgültig beschlossen, räumte der EVG-Vorsitzende ein, bezweifelte aber, dass sich darauf noch Einfluss nehmen lasse. Er befürworte eine Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen und für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen. Zurzeit wird die Maut auf Autobahnen und einigen Bundesstraßen ab zwölf Tonnen erhoben; ab 1. Oktober 2015 sollen auch Lastwagen ab 7,5 Tonnen mautpflichtig werden.

Mangelnde Lärmschutz-Hilfe

Kirchner kritisierte auch die mangelnde Unterstützung des Bundes für den Lärmschutz bei der Bahn, vor allem aber die drohenden Sanktionen: Tempolimit und Nachtfahrverbot. Sie würden erneut die Bahn gegenüber dem Lkw-Verkehr in Nachteil bringen. Die Bahn hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 den Schienenlärm zu halbieren, der Staat fordere jedoch, dass bis 2016 bereits die Hälfte des Wagenparks auf leise Bremsen umgerüstet sein solle. Das schaffe die DB nicht, zu schweigen von den Mitbewerbern. Wahrscheinlich sei die Industrie gar nicht in der Lage, in dem verbleibenden Zeitraum die nötigen Bremsen zu liefern und umzurüsten.

Fernbus nur zwischen Ballungsräumen

Große Versäumnisse machte Kirchner bei der Bahn selbst in Sachen Fernbus aus. Die EVG habe stets davor gewarnt, dass dieser Verkehr der Schiene schade, jetzt räume es der Bahnvorstand selbst ein. Abgesehen davon, dass Busse mautfrei führen, während Personenzüge Trassengebühren zahlen müssten, beschäftigten viele der Busunternehmen Personal zu untragbaren sozialen Rahmenbedingungen. Außerdem bedienten auch die Fernbusse nicht den ländlichen Raum, sondern pickten sich die Rosinen des Ballungsraumverkehrs heraus. Kirchner äußerte die Erwartung, dass die DB deshalb ihre konkurrierenden Aktivitäten ebenfalls auf diesen Bereich konzentriere und der ländliche Raum das Nachsehen habe. „Ich fürchte, dass wir Anfang 2015 auch über Einschränkungen beim Schienenpersonenfernverkehr der Bahn reden müssen“, sagte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des Staatsunternehmens. Am Ende sei keine Quersubventionierung der unrentablen durch die Gewinn bringenden Verkehre mehr möglich, kritisierte er und verwies auf die einschlägige Grundgesetzbestimmung, die für das gesamte Bundesgebiet eine Daseinsvorsorge vorschreibe.

Höhe der Modernisierungsmittel von Dividende abhängig

Das Anfang der Woche vorgestellte umfassende Modernisierungsprogramm für das deutsche Schienennetz steht nach Kirchners Ansicht „auf sehr dünnen tönernen Füßen“. Es ist Bestandteil der „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II“ (LuFV) zwischen der Bahn und dem Bund. Sie soll Anfang 2015 von allen Beteiligten endgültig unterschrieben sein. Danach erhält die DB AG vier Milliarden Euro Bundesmittel jährlich für den Erhaltungsbedarf – also zum Beispiel den Ersatz von 875 alten Brücken, 17.000 Kilometer Schienen und 10.000 Weichen – und zusätzlich acht Milliarden für die Instandhaltung bestehender Anlagen, auf die die Bahn selbst noch einmal 3,4 Milliarden Euro drauflegen wird.

Die Bundesmittel speisen sich nicht nur aus Haushaltsmitteln, sondern auch aus der Dividende, die die das Staatsunternehmen an den Bund abführt. Unterstellt sind jährlich mindestens 800 Millionen Euro. Hier setzte Kirchners Kritik an: „Wenn die Erträge nicht kommen, gibt es auch weniger Geld.“ Das sehe die LuFV ausdrücklich vor. Außerdem sei eine jährliche Erhöhung der Trassenpreise um durchschnittlich 2,4 Prozent angenommen worden, damit DB Netz ihren Teil zur Finanzierung beitragen könne. Kirchner sah in den anderen Rahmenbedingungen aber große Risiken für eine Erreichung dieses Gewinnziels.

Die Fortschreibung der Regionalisierungsmittel, mit denen der Bund den öffentlichen Nahverkehr fördert, sei ebenfalls noch nicht in trockenen Tüchern. Einen Vorschlag der Bundesländer, nach dem sie 8,5 Milliarden Euro (zurzeit 7,3 Milliarden) mit einer jährlichen Steigerung um 2,7 Prozent erhalten sollten, habe der Bund abgelehnt und stattdessen ein Gesetz für ein Jahr ohne Dynamisierung vorgeschlagen.

Kirchner fordert Schienengipfel

Alexander Kirchner. Foto: EVG
Alexander Kirchner. Foto: EVG

All das bringe die EVG zur Forderung nach einem „Schienengipfel“, auf dem ein Konzept für alle Verkehrsträger und ein Masterplan Verkehr diskutiert und anschließend beschlossen werden solle, sagte Kirchner. Bisher hätten alle Maßnahmen der neuen Regierung nicht geholfen, „sondern die Schiene nur geschwächt. Der Bundesverkehrsminister tut es nicht“, ärgerte sich Kirchner. „Die Bundesregierung muss gezwungen werden.“