Die Schweiz finanziert Verkehrsinfrastruktur aus einem Guss

Interview mit Botschafter Guldimann – Modell-Lösung auch für Deutschland

Tim Guldimann, Botschafter der Schweiz in der Bundesrepublik.
Tim Guldimann, Botschafter der Schweiz in der Bundesrepublik. Foto: Schweizerische Botschaft

Integrierte Verkehrspolitik, hohes Lärmschutzbewusstsein, eine Finanzierung abgekoppelt von jährlichen Haushaltsdiskussionen und plebiszitäre Absicherung von Großprojekten: So löst die Schweiz ihre Probleme bei Finanzierung und Realisierung der Verkehrsinfrastruktur. Ihr Botschafter in der Bundesrepublik, Tim Guldimann, hat der deutschen Politik einen Blick auf die Modelle der südlichen Nachbarn empfohlen. Die dortige Fondslösung zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur wird auch von den deutschen Bundesländern für die milliardenteure Sanierung der teils maroden Schienen und Straßen befürwortet.Guldimann hob im Gespräch mit dem Verkehrsblog „schienestrasseluft.de“ besonders die positiven Effekte der schweizerischen Fondslösungen für die Verkehrsfinanzierung hervor. In der Schweiz gibt es zwei Fonds, aus denen Infrastruktur und öffentlicher Nahverkehr finanziert werden. Ursprünglich für bestimmte Aufgaben und Zeiträume geschaffen, würden die beiden Fonds gerade in zeitlich unbegrenzte überführt. In die Fonds fließen die Lkw-Maut, Trassenpreise, ein Teil der Mehrwertsteuer und der Mineralölsteuer sowie allgemeine Bundesmittel. „Man nimmt also Geld von der Straße und führt es der Schiene zu“, erläuterte Guldimann. In Deutschland gehen die vergleichbaren Mittel „dagegen zuerst in die Badewanne des Bundesfinanzministers und von dort in einem Schlauch zu den Verkehrsträgern.“

Der Bahninfrastrukturfonds (BIF) der Schweiz.
Der Bahninfrastrukturfonds (BIF) der Schweiz.

Dem Zugriff des Parlaments entzogen

Der wesentliche Unterschied zu Deutschland sei, dass die Fonds dem Zugriff des Parlaments entzogen sind. „Es ist quasi eine staatliche Parallelfinanzierung zum jährlichen Budget.“ Nur so hätten extrem teure Projekte wie die Tunnel zur Alpenquerung über Jahrzehnte finanziell abgesichert werden können. Die parlamentarische Kontrolle sei durch die jährliche Bewilligung der Fondsrechnung dennoch gegeben.
Außerdem werde aus den Fonds verkehrsträgerübergreifend finanziert. Überhaupt werde in der Schweiz seit Jahrzehnten Verkehrspolitik integral diskutiert. „Das heißt, Schiene, Straße, Luft wird nicht aufgeteilt. Ich habe den Eindruck, dass in Deutschland die sektorielle Betrachtung sehr ausgeprägt ist“, sagte der Diplomat.
Über die Finanzierungsinstrumente treibe die Schweiz „die Erreichung gesellschaftlicher Ziele voran, etwa dass mehr Verkehr von der Straße auf die Bahn geht“, fügte Guldimann hinzu. „Und wir diskutieren Substanzerhaltung und Neuinvestitionen am gleichen Ort, nämlich in diesen Fonds.“

Das Lärmproblem muss gelöst werden

Die Verkehrsinfrastruktur könne im übrigen nur den Bedürfnissen angepasst werden, „wenn man das Lärmproblem löst“, sagte Guldimann. Er rechtfertigte das Verbot für laute Güterwagen in der Schweiz ab 2020, das großen Einfluss auf die Lärmsituation in Deutschland haben wird, weil es das Herzstück der Magistrale Rotterdam – Genua trifft. Wenn laute Güterwagen auf dem Schweizer Streckenabschnitt nicht mehr fahren dürfen, werden können sie auch nicht mehr auf der Rheintallinie eingesetzt werden. Man könne ja nicht an der Schweizer Grenze umladen. Die Anlieger-Bundesländer dieser Magistrale hätten deshalb auch sofort positiv reagiert, sagte der Botschafter. Auch die EU-Kommission sei nicht auf Konfrontation gegangen. Für diese Lärmbekämpfung wird in der Schweiz sehr viel Geld investiert, in den letzten zehn Jahren etwa das Zehnfache pro Kopf der Bevölkerung im Vergleich zu Deutschland.

Direktdemokratisch abgesichert

Schließlich hob er hervor, dass mit Volksentscheiden und den vorgelagerten „Vernehmlassungsverfahren“ – ähnlich den deutschen Anhörungen – bei Großprojekten die Zustimmung abgesichert werde. Über den Gotthard-Basistunnel hätten die Schweizer 1992, also vor Baubeginn, abgestimmt, sagte Guldimann mit Blick auf die Akzeptanzprobleme des Projekts Stuttgart 21. „Die direktdemokratischen Instrumente werden nicht so sehr als Blockade eingesetzt, sondern vielmehr als Legitimationsgrundlage zu Beginn der Projekte.“ Er wies darauf hin, dass auch alle jene mit abstimmten, „bei denen die Bahn nicht direkt an der Nase vorbeifährt“.
Insgesamt hänge die Zukunft des industriellen Produktionsstandorts davon ab, dass außer in Bildung, Forschung, Technologie und Energie auch in den Verkehr investiert werde. „Das Investitionsbedürfnis für Verkehr, glaube ich, kommt in Deutschland erst sehr, sehr langsam im politischen Bewusstsein an“, meinte der Botschafter.

Eine detaillierte Übersicht gibt es hier: http://www.are.admin.ch/themen/verkehr/00252/index.html?lang=de und hier: http://www.bav.admin.ch/fabi/04048/index.html?lang=de

(Eine gekürzte Version dieses Interviews ist in der Zeitschrift „VDV – Das Magazin“ des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen erschienen.)