„Er war kein Weltklugscheißer“

Ex-Außenminister Klaus Kinkel gestorben – Liberaler Gentleman und Strippenzieher

Berlin, 05. März (ssl) Der FDP-Politiker und frühere Außen- und Justizminister Klaus Kinkel ist mit 82 Jahren am Montag (04. März) gestorben. Mit ihm geht ein Liberaler, der die Idealbesetzung für das Auswärtige Amt war. Allerdings stand er auch stets im Schatten des damaligen Kanzlers Helmut Kohl (CDU), der sich ebenfalls als Europa- und Außenpolitiker profilieren wollte und konnte. Der promovierte Jurist Kinkel, der zeitweise in seiner eigenen Partei einen schweren Stand hatte, überzeugte durch Menschlichkeit und Anstand.

Es muss 1995 oder 1996 gewesen sein, als Außenminister Klaus Kinkel eine Reihe von Journalisten, die in der Bonner Republik für Außenpolitik zuständig waren, zu einer Wanderung am Rhein entlang einlud. Das Wetter war nicht berühmt, die Schritte waren gemessen, und schon damals war der Mann, der jahrelang den Bundesnachrichtendienst geleitet hatte, von reichlich Bodyguards umgeben.

Inmitten der steilen Weinberge des Weltkulturerbes entspann sich ein Smalltalk zwischen ihnen, dem Minister und Journalisten über die Frage, ob das Amt des Außenministers begehrenswert sei. Die Sicherheitsbeamten bedauerten ihn unter dem Eindruck der Maßstäbe, die Kinkels Vorgänger Hans-Dietrich Genscher gesetzt hatte. Von diesem geht das Gerücht, er sei so oft auf Auslandsreisen gewesen, dass er sich gelegentlich über dem Atlantik selbst begegnet sei.

Preußischer Schwabe

Bei Kinkel, der sich gern als „preußischer Schwabe“ bezeichnen ließ, war das unter anderem deshalb nicht so spektakulär, weil die Weltpolitik sich nach den Umwälzungen der späten 80-er und frühen 90-er Jahre vorerst beruhigt zu haben schien. Und weil Kohl wichtige Gebiete an sich zog, etwa die Europa- oder die China-Politik. Es gab keine Einheit mehr zu managen, und der erste Irakkrieg war beendet. Kinkel selbst, der stets einen durchtrainierten und gesunden Eindruck machte, schien die Reisetätigkeit nichts auszumachen (um die Wahrheit zu lernen, müsste man seine Frau fragen, mit der er 57 Jahre verheiratet war). „Immerhin lernt man die Welt kennen, auch mit den Hintergründen, die sie bewegen.“

Dass – frei nach Alexander von Humboldt – seine Weltanschauung darauf beruhte, dass er die Welt auch gesehen hatte, vermerkten alle positiv, die mit Kinkel zu tun hatten. Der Mann  grüßte immer so, als wäre der Begrüßte gerade die wichtigste Person in seinem Leben. Er nahm in Hintergrundgesprächen, etwa in Regierungsfliegern, nie ein Blatt vor den Mund und erläuterte auch komplizierte Zusammenhänge der Regierungs-, Europa- und Außenpolitik so lange, bis jeder sie verstanden hatte. Allerdings ließ er auch keinen Zweifel daran, dass er nach einigen herben Wahlschlappen seiner Partei lieber Außenminister als FDP-Vorsitzender war, zumal er dort wegen seines kometenhaften Aufstiegs in die Parteispitze als Ziehsohn Genschers nicht unumstritten war. Den einen war er zu liberal, die anderen störte seine Netzwerk-Fähigkeit.

Leitplanken im Außenamt

Eine wichtige Voraussetzung, um die schon notorische Beliebtheit des Außenministers bei Umfragen zu erreichen, sei allerdings die Kenntnis einiger Leitplanken, etwa im Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Kinkel als in der Wolle gefärbter Liberaler und Berufspolitiker hatte damit keine Probleme und war deshalb weltweit ein gern gesehener Gast, zumal er als Repräsentant eines der reichsten Staaten der Erde meist Geschenke mitbrachte

Eine Magnum-Flasche alten Rieslings

Am Ende gab es einen Ausklang beim Winzer, und jeder Gast bekam eine Magnum-Flasche Riesling geschenkt. Ich habe sie danach bei jedem Umzug ungeöffnet mitgenommen. Erst Anfang 2016 haben wir sie mit Freunden geöffnet und getrunken. Das geht ja nur im Winter, weil sie nicht in den Kühlschrank passte und deshalb vor der Haustür gekühlt werden musste. Der Wein schmeckte immer noch hervorragend, und die Flasche haben wir noch. Wir machten ein Bild und schickten es an seine Kanzlei in Sankt Augustin, und Kinkel bedankte sich seinerseits mit einem freundlichen Brief.

Überzeugter Europäer

An seinem 80. Geburtstag machte Kinkel ebenfalls noch einen äußerst vitalen Eindruck. Nach allen erwartbaren Lobeshymnen profilierte er sich noch einmal als überzeugter Europäer. Die Feier, terminiert ausgerechnet auf den Morgen nach dem Weihnachtsmarkt-Attentat, wurde zu einem Bekenntnis, dass wir alle uns den europäischen, offenen, liberalen Lebensentwurf nicht zerstören lassen dürfen, weder durch Populismus noch durch Terrorismus.

Damals sagte Laudator Wolfgang Schäuble: „Klaus Kinkel ist ein anständiger Mensch“, und erinnerte genüsslich daran, dass Kinkel überhaupt erst in die FDP eingetreten ist, als er bereits zum Bundesminister der Justiz ernannt wurde – ein Umstand, den der amtierende FDP-Chef Christian Lindner bei seinen einführenden Worten elegant vergessen hatte. Und Schäuble fuhr fort: „Er wollte nie ein ‚Weltklugscheißer‘ sein.“

2016 hatte sich die Welt schon wieder so verändert, dass Kinkel in seiner Entgegnung und in Gegenwart seines noch amtierenden Nach-Nach-…folgers Frank-Walter Steinmeier (SPD) zugab, in diesen Zeiten wolle er den Job nicht machen. Blicken wir an der Reihe der deutschen Außenminister entlang, so war Kinkel mit Sicherheit einer, der die Bundesrepublik würdig ohne Wenn und Aber vertreten hat. Als Beamter und vor allem als Mensch.