Vielleicht doch ein bisschen von den USA lernen?

Zur neuen Debatte ums Tempolimit in Deutschland

Verkehr an der US-Ostküste. © Foto: Rietig

Berlin, 2. Februar (ssl) Frankreich führt auf Landstraßen am 1. Juli ein generelles Tempolimit von 80 Kilometer pro Stunde ein. Bisher lag es bei Tempo 90. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) fordert eine neue Diskussion um Geschwindigkeitsbegrenzungen auf deutschen Straßen. Gedanken zu einer Ent-Emotionalisierung der Debatte. Und ein Plädoyer für zeitgemäße Tempolimits auf Landstraßen.

Frankreich steht in der Verkehrsopferstatistik schlechter da als die Bundesrepublik. Die Vereinigten Staaten von Amerika noch schlechter. Nun könnte man sagen: Von denen können wir eh nichts lernen, die machen es nicht so gut wie wir. Argumentiert wird, dass die Tempolimits nicht zur Verbesserung dieser Statistik beigetragen hätten. Es fehlt nicht mehr viel, und jemand erzählt uns, dass gerade die Tempolimits die Statistik negativ beeinflussen, etwa weil der /die Autofahrer/in auf langen, mit einförmigem Tempo befahrenen Strecken eher zum Sekundenschlaf neigt als auf unseren aufregenden Autobahnen. Das wäre ungefähr so, als würde man den Geburtenrückgang in der alten Bundesrepublik mit der zeitgleichen Abnahme der Storchenpopulation in ursächlichen Zusammenhang bringen. Im Ernst: Großbritannien steht besser da als Deutschland, und dort gibt es Tempolimits. Vielleicht liegt es ja am Linksverkehr. Und außerdem halten es die Autohersteller auch ohne Tempolimit inzwischen für wichtig, in ihre Fahrzeuge eine Müdigkeitserkennung einzubauen.

Um die Diskussion ein wenig zu versachlichen, noch mal einige  Erfahrungen aus unserem jüngsten Amerika-Urlaub und mit dem dabei benutzten Hybridauto  Nach den dortigen Erfahrungen finde ich mehr Tempolimits in Deutschland nicht so schlecht. Rein theoretisch müsste „der Ami“ (also der/die US-Bürger*in) sich einem Tempolimit so energisch widersetzen wie die heimische Autoindustrie, fährt er doch reichlich Autos, die von der Papierform und von der Performance des Antriebssatzes her Geschwindigkeiten jenseits der erlaubten etwa 130 Kilometer pro Stunde ermöglichen. Er sitzt überraschend oft im Porsche Cayenne oder einem anderen SUV. Oder in einem riesigen Pick-up der drei US-Größen GM, Ford und Dodge-Chrysler-Fiat. Diese könnten wahrscheinlich mit ein bisschen Umstöpseln bei der Elektronik richtig schnell fahren.

Aber nein, „der Ami“ – jedenfalls an der Ostküste – hält sich im Prinzip an die Tempolimits. Das heißt, er hält sie mit einem gewissen Aufschlag („Mehrwertsteuer“) grundsätzlich ein. Wo 55 steht, fährt er auf Autobahnen 60, wo 65 vorgeschrieben ist, 70 usw.. Gleichgültig, ob er SUV, Limousine, Sportwagen, Light Truck oder richtigen Truck fährt. Aber er fährt nicht 100 Meilen pro Stunde, auch wenn sein Fahrzeug dazu in der Lage sein sollte. Auf kreuzungsfreien, vielspurigen Straßen variiert das Tempolimit zwischen 60 und 70 Meilen pro Stunde (112 km/h). Gibt es ebenerdige Kreuzungen, beträgt es 55 auf freier Strecke, an den Kreuzungen mit Vorankündigung 35 oder 45 Meilen. Als wirklich gefährlich haben wir genau diese Kreuzungen vielspuriger Beinahe-Autobahnen empfunden, besonders dann, wenn dort Sattelzüge mit gewaltiger Länge von der Gegenfahrbahn kommend links über „unsere“ drei, vier Fahrspuren hinweg abbiegen – also die vieldiskutierte Situation, die 2016 zu dem tödlichen Unfall mit dem Autopilot-gesteuerten Tesla führte . Hier sollten wir nichts vom Ami lernen.

Auf unseren Routen in den USA war jede Straße mit „individuellen“ Tempolimits ausgestattet, die der Straßencharakteristik angepasst sind oder es zumindest sein sollen – ein System, das in der Diskussion auch hierzulande offenbar langsam mehrheitsfähig wird. Es klingt ja auch vernünftig, auch wenn es Schilderherstellern ungeahnte Konjunktur bringen würde. Der Fahrer würde wahrscheinlich eher Einsicht zeigen, als wenn er auf einer breiten, geraden, trockenen, übersichtlichen Landstraße zu 80 km/h „gezwungen“ würde. Vor Jahren, als hier die Tempolimit-Diskussion wieder einmal hochkochte, reagierten die diversen Verkehrsminister auch schon mit dem Hinweis (sinngemäß): „Wir sind hier so modern, dass wir unsere Autobahnen mit Telematik ausstatten, die situationsadäquate Tempolimits vorgibt. Deshalb brauchen wir kein generelles Tempolimit.“ Umgesetzt haben sie die Telematik nicht, jedenfalls nicht flächendeckend und schon gar nicht auf Landstraßen. Genau dort wäre es aber angebracht.

Zunächst müsste die Autoindustrie mal gegen den Geschwindigkeitswahn schwimmen. Sexy geht auch ohne schnell. Die Amis kaufen unsere Wagen sicher nicht wegen der Möglichkeit des Rasens. Zweitens: Die Statistik und die Erfahrung zeigen, dass Überholvorgänge auf Landstraßen mit das Gefährlichste sind, was beim Autofahren erlaubt ist. Deshalb sollte der Gesetzgeber der Empfehlung zahlreicher Fachleute folgen und das Landstraßen-Tempolimit für Lastwagen von 60 km/h aufgehoben werden. Das würde schon mal für eine gleichförmigere Geschwindigkeit aller Verkehrsteilnehmer sorgen und viele Überholvorgänge überflüssig machen.

Hi-Tech-Tempolimits sind gefragt

Anschließend sollten Strecken mit Unfallschwerpunkten variable Tempolimit-Anzeigen erhalten, wie es sie auf einigen Autobahnen schon gibt: Wenn die Sonne scheint und wenig Verkehr ist, darf 80 gefahren werden, wenn die Sonne den Autofahrern aber ins Gesicht scheint, bei Schnee und/oder Regen 70, 60 oder weniger und so weiter. Je nach topographischer Situation, Ausbauzustand der Straße und Wetterlage können auch Lastwagen wieder verlangsamt werden. Zugleich könnte die Software der Geschwindigkeitskontrolle entsprechend angepasst werden. Eine Win-Win-Situation: Gewonnen haben der Autofahrer, der überlebt und Sprit spart; die Umwelt, in die weniger Schadstoffe emittiert werden; die Behörde, die Bußgeld mit geringem Personalaufwand einnimmt; schließlich das Image der deutschen Mobilitätstechnologie.

Und jetzt kommt noch die Diskussion über die Kontrolle. Die muss natürlich gewährleistet sein, sonst hat das Tempolimit auch auf der Landstraße keine Chance auf Realisierung. Eine gute Gelegenheit, streckenbezogene Geschwindigkeitskontrollen vorzunehmen. Ja, es ist ärgerlich, geblitzt zu werden. Ärgern wir uns über uns selbst, wenn wir mal wieder nicht aufgepasst haben, wie schnell wir fahren. Bei ein bisschen Nachdenken kommen wir dann zu dem Schluss, dass es genau dieses Nicht-Aufpassen ist, das im Straßenverkehr eigentlich nicht passieren sollte.

Streckenbezogene Geschwindigkeitskontrollen

Wir haben in der Nähe unseres Wohnorts eine innerstädtische Straße, die etwa vier Kilometer lang fast nur durch Wald führt. Sie ist zweispurig, übersichtlich, deutlich breiter als sechs Meter, und es ist Tempo 70 erlaubt. Die meisten halten sich dran. Dennoch wäre es eine gute Gelegenheit, streckenbezogene Geschwindigkeitskontrollen auszuprobieren und Überschreitungen teuer zu ahnden wie in Nachbarländern. Denn nicht nur hier stehen ein paar Kreuze am Straßenrand. Vor einiger Zeit hat sich einer mit einem Ferrari totgefahren. Mit 180 km/h.

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Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hat sich schon vor Jahren für ein niedrigeres Tempolimit auf Landstraßen ausgesprochen: https://www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de/images/empfehlungen_pdf/empfehlungen_53_vgt.pdf

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat empfiehlt ebenfalls, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen mit einer Breite von weniger als sechs Metern auf 80 km/h zu senken: https://www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de/images/empfehlungen_pdf/empfehlungen_53_vgt.pdf